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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Und
    Den Menschen da draußen müssen Sie mit diesem Prospekt nichts verkaufen, Herr Bürgermeister, sondern den Menschen in den Städten, Menschen, die
    Da! Zum Beispiel: Was sollen die Fliegenpilze auf diesem Foto? Die sind doch giftig. Wenn schon Schwammerl, warum dann nicht Herrenpilze, ich meine, in unseren Wäldern gibt es doch auch edle
    Wir waren fotografieren, und nicht Schwammerlsuchen, Herr Bürgermeister. Und gerade dieses Foto hat uns werbetechnisch sofort überzeugt. Zu Fliegenpilzen assoziiert doch jeder Betrachter sofort verwunschene Märchenwelt, Hexen und Feen, ein Männchen steht im Walde, Kindheit
    Kann sein. Ich weiß nicht. Aber auf jeden Fall hat Komprechts doch viel mehr anzubieten als den Wald mit Steinen und Fliegenpilzen. Der Satz da auf der ersten Seite: Wir haben Ihnen nichts zu bieten – das ist doch
    Das ist doch eine ganze Menge. Das ist das schlagende Argument. Lesen Sie doch weiter: Wir haben Ihnen nichts zu bieten. Was wir haben, ist unverkäuflich. Ist unbezahlbar. Ist ein Geschenk der Natur.
    Aber wer sich für einen Urlaub hier interessiert, will doch mehr wissen, als daß hier Natur ist, will einen Eindruck haben von der Ortschaft und
    Na gut, sagte Herr Tobisch, gehen wir alles noch einmal durch. Er öffnete seinen Aktenkoffer, nahm einen Plan und einen Stapel Fotos heraus. Beginnen wir beim Bahnhof, hier. Das Gebäude ist hübsch, auch sehr hübsch restauriert, keine Frage. Aber dann. Wir gehen jetzt den Weg hinauf zum Ort. Da kommt die Glasfabrik, hier. Ein normaler Fabrikbau, architektonisch nicht besonders häßlich, aber auch nicht interessant. Nun denken Sie sich in die Zielgruppe hinein. Was springt Ihnen jetzt ins Auge? Natürlich der Schlot. Der alternative Urlauber, der wesentlich das Naturerlebnis sucht, prallt natürlich zurück, wenn er in einem Prospekt so einen großen Fabrikschlot sieht. Gehen wir weiter. Als nächstes kommt die Zentralkläranlage. Sie sind stolz auf diese Kläranlage, kann ich verstehen. Ein nützlicher Zweckbau, gewiß, ein Fortschritt. Aber ist er eine Attraktion für die, die herkommen sollen? Schauen Sie sich das Foto an. Woran erinnert Sie dieser Bau? Ich werde es Ihnen sagen: Beim ersten Blick denkt man an ein kleines Kraftwerk. Wenn das da oben nicht flach wäre, sondern rund, würde man glauben ein Atomkraftwerk. Aber schon so ist es schlimm genug. Jetzt sind wir also soweit: Wenn ich da ankomme in diesem Komprechts, dann bekomme ich sofort eine Bronchitis von dem Qualm aus dem Fabrikschlot. Dann, langfristig, noch Krebs, von den Strahlungen und Ausdünstungen dieses Kraftwerks. Ist das der Eindruck, den Sie vermitteln wollen? Aber gehen wir weiter. Hier. Da haben Sie die Häuserzeile, die hinaufführt zum Hauptplatz. Alles eingerüstet, staubig, eine einzige Baustelle. Jeder Zementfabrikant wird entzückt sein von diesen Fotos. Aber unsere sanften Touristen?
    Aber die Bauarbeiten sind mittlerweile fast abgeschlossen, und
    Ja, das habe ich heute gesehen, Herr Bürgermeister, aber
    Als die Um- und Ausbauten der Arbeiterhäuser begannen, hatte Roman bei einem seiner Spaziergänge zu filmen begonnen. Als er begriffen hatte, was hier geschah, was hier entstand, war er augenblicklich von der Idee besessen gewesen, systematisch vorzugehen. Er filmte nach und nach alle Phasen der Umbauten, er montierte das Material so, daß man im Zeitraffer sah, wie sich aus dem alten Komprechts das neue herausstülpte, der Film war ohne Ton, aber es schien geradezu Plop zu machen zwischen Vorher und Nachher. Dann zeigte er nochmals Haus um Haus nach der Fertigstellung, in einer Abfolge von Standbildern, wie eine rasche Dia-Abfolge, klick klick klick, und durch diesen Seriencharakter bekam eine im einzelnen banale und unspektakuläre architektonische Lösung den Anschein eines architektonischen Gelalles, wurde zur Parodie der Idee eines geschlossenen baulichen Ensembles: Alle Häuser hatten die Form eines L angenommen, ein L nach dem anderen, das aus dem längeren Balken des ursprünglichen Hauses und dem kürzeren des neuen Anbaus bestand.
    Das hat etwas
    Groteskes.
    Nicht nur. Es hat auch etwas angestrengt Bedeutsames. Wie ein aufdringlich präsentiertes Zeichen, lauter L-förmige Häuser, als stünde das L für etwas, L wie
    Lächerlich, das hat überhaupt nichts zu bedeuten. Es war einfach naheliegend, es so zu machen. Schauen Sie doch die Größe der Grundstücke, der einzelnen Parzellen an, sie konnten die Anbauten gar nicht anders an ihre Häuser

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