Schubumkehr
Richard, Und ich geh dir nicht mehr auf den Acker, sagte Anne, was soll ich mich krumm und bucklig arbeiten für diesen Scheißdreck, Entschuldigung, aber es ist ja wahr.
Sie saß in der Küche, zählte nicht mehr Spurenelemente, sondern Kalorien, und war ununterbrochen gereizt. Übrigens, sagte sie zu Richard, muß dein Spielzeug da hinter dem Haus – ja, ich meine die Traktoren, die Wracks, aber in Wirklichkeit ist das doch dein Spielzeug, nicht wahr, muß das da draußen so herumliegen?
Roman war auf stille Weise begeistert. Ja, so war seine Mutter, so ist sie gewesen. Es tat sich Heimat auf. Als seine Mutter laut darüber nachzudenken begann, ob man nicht das Angebot des Strukturreformplans annehmen und den Bauernhof zu einem Urlaubsbauernhof umbauen solle, wurde Richard wütend. Das komme überhaupt nicht in Frage. Ich weiß nicht, was du hast, sagte sie, wir bauen doch sowieso pausenlos um, warum sollen wir nicht Geld dafür nehmen? Und ein paar Urlaubsgäste, die den ganzen Tag Spazierengehen, stören nicht und lassen Geld da, und wir könnten die ganze Wirtschaft einschränken und – Roman gab seiner Mutter Feuer, zündete sich selbst eine Zigarette an und sagte, daß sie recht habe, als Richard schon hinausging und mit lautem Knall die Tür hinter sich zuwarf.
Komisch, sagte Roman, so unkontrolliert habe ich ihn noch nie gesehen.
Anne holte ihre Autoschlüssel aus der Hosentasche, verzog das Gesicht und ließ die Schlüssel in der Hand hin und her baumeln.
3. Kapitel
Der Mensch stirbt auch aus Gewohnheit.
G. W. F. Hegel
1.
Wald, Wald und noch einmal Wald. König war verwirrt. Da schimmert der Wald im Vollmondlicht, da brechen Sonnenstrahlen durch die Wipfel, was aber wenig an der unklaren graugrünen Atmosphäre ändert. Hier der Teufelstein, gleich daneben der kilometerweit entfernte Wackelstein. Ich kenn mich nicht aus, sagte König. Eine Waldlichtung. Der Braunsee. Und schließlich der Bahnhof. Das sieht aus wie eine Welt ohne Menschen, man irrt umher Tag und Nacht, und wenn man Glück hat, dann findet man diesen Bahnhof und kann erleichtert abreisen. Aber wir wollen doch, daß die Touristen kommen, kommen sollen sie, Herr Tobisch, und sich wohlfühlen, nicht zurückschrecken, oder herumirren und abreisen.
Der Mann von der Werbeagentur war in seiner Sicherheit nicht zu erschüttern. Als hätte Königs Reaktion ihn bestätigt, wahrscheinlich war dies sogar wirklich der Fall, sagte er: Gewiß, Herr Bürgermeister. Sie werden auch kommen, genau die, die Sie haben wollen. Urlauber, die Ruhe suchen, Ruhe, Ruhe, Ruhe. Das intensive Naturerlebnis. Die sprechen wir an mit diesen Fotos des Waldes in verschiedenen Stimmungslagen. Sie vermitteln eine große Erlebnisbandbreite des Spektakels Natur.
Ja, aber wieso dann der Bahnhof am Ende des Prospekts? Wie gesagt, das ist doch wie eine Aufforderung zur Abreise, wie
Im Gegenteil, Herr Bürgermeister. Durch die Waldansichten wird der Betrachter eingestimmt in das Produkt, wenn ich so sagen darf. Kein Massenbetrieb, das ist es, was er will. Keine Hotelkomplexe, das ist es, was er will. Natur, Natur, Natur – da will ich hin, denkt er sich. Und wie er sich das denkt, verstärken wir diesen Eindruck, machen ihn konkret: Du kannst hin, ohne Auto! Bedenken Sie die Zielgruppe, Herr Bürgermeister! Ohne Auto! Da kommst du an! Buche, und wir werden dich hier willkommen heißen, der Bahnhof ist nicht ausladend, sondern symbolisiert nach der Selbstdarstellung die Einladung.
Ich weiß nicht. Und was soll diese Bildunterschrift: Hinter dem kleinen kakanischen Bahnhof
Schloßgelb haben doch Sie ihn streichen lassen. Übrigens eine gute Entscheidung, Gratulation, Herr Bürgermeister. Wir greifen das auf. Wir sagen kakanisch, das heißt gute alte Zeit, als man noch Sommerfrische sagte, und wo Plastik etwas war, was ein Bildhauer aus Stein machte, und
Ja, sicher. Aber: Hinter dem kleinen kakanischen Bahnhof verlieren sich die Gleise der Schmalspurbahn in einer Ferne en miniature. Was soll das? Da hinten ist gleich die Staatsgrenze. Eiserner Vorhang. Tote Hose.
Eben. Aber Ferne en miniature klingt doch viel poetischer.
König war wirklich unsicher. Immer wieder blätterte er den Prospektentwurf durch, ohne sich mit ihm anfreunden zu können.
Wissen Sie, ich bin wirklich kein Werbefachmann,
Herr Tobisch nickte.
aber andererseits, ich bin Politiker. Ich könnte nie eine Wahl gewinnen, wenn ich den Menschen da draußen nicht verkaufen könnte, was sie wollen.
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