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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Irgend etwas, das da lag. Gab es dem Jungen. Ein kleiner Stein. Der Junge schleuderte ihn flach über den See, so daß der Stein drei- oder viermal auf der Wasseroberfläche aufhüpfte. Warum wirkte dieses Bild nicht idyllisch? Zwei Kinder auf dem plattgewalzten Uferstreifen, zwischen den abgezirkelt gesetzten jungen Bäumchen. Und was ist dann geschehen? Irgend etwas ist geschehen, etwas Rätselhaftes, etwas Beklemmendes, aber es war nicht zu erkennen, was. Es war nur zu sehen. Das Mädchen zeigte irgendwohin und lief los. Der Junge ihr nach. Zu dem großen Findling an der Lichtung. Geschickt kletterte das Mädchen auf den Findling, setzte sich oben in die Mulde. Der Junge blieb unten, stand da, wartend, blickte hinauf zu dem Mädchen. Plötzlich begann er zu gestikulieren, zu winken. Er winkte sie herunter, sie sollte herunterkommen von dem Stein. Das Mädchen blieb ruhig oben sitzen und schüttelte den Kopf. Wieder deutete ihr der Junge, daß sie herunterkommen solle. Warum war er so aufgeregt? Das Mädchen lachte und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Der Junge stand vor dem Stein, schaute zu dem Mädchen hinauf, gerade noch hatte er so einen nervösen zappelnden Eindruck gemacht, und nun stand er plötzlich wie erstarrt, versteinert, es war eine so eigentümliche Angststarrheit, daß Roman die Kamera sinken ließ, wobei er aber jetzt mit freiem Auge weniger sah als vorher durch den Zoom der Kamera, irgend etwas war passiert, aber was? Der Junge drehte sich plötzlich um und lief davon.
    Zu Hause sah sich Roman die Aufnahmen mehrmals an, aber er konnte den Grund für das Erschrecken des Jungen nicht erkennen.
5.
    Frau Nemec bat die drei Männer herein, die vor der Tür standen, als wollten sie sie abholen. Worum es denn ginge? Trisko sah die Schweißperlen auf der Stirn von Frau Nemec, auf ihrer Nase, ein ungesunder Schweiß, kleine weiße Tropfen, das wird nicht gutgehen, dachte er, wir sind im falschen Moment gekommen. König sprach mit einer Rhetorik, die dieser alten Frau nicht angemessen war, die dieser Situation nicht angemessen war, er sprach von der neuen Zeit und von der hoffnungsvollen Zukunft der Gemeinde, von den neuen Herausforderungen und von Aufschwung, von Dynamik und Flexibilität, von Modernisierungsschub, und immer wieder Zukunft, für die jetzt der Grundstein gelegt werde, Zukunft, die jetzt beginne, Zukunft, für die jeder einen Beitrag leisten müsse, um, wie er sagte, mitpartizipieren zu können, mitpartizipieren. Macho nickte, sah dabei zum Fenster hinaus, kein Lärm, kein Geräusch drang von draußen herein, die Aufräumungsarbeiten waren längst schon beendet. Wo die Krater und kreuz und quer liegenden Baumstämme gewesen sind, war nun eine planierte Fläche voller kleiner Setzlinge. Frau Nemec sah, daß Macho dort hinausschaute, blickte selbst kurz zum Fenster hin und wandte sich wieder dem Bürgermeister zu. Warum nicht auch sie, Frau Nemec, mitpartizipieren sollte am Aufschwung, am neuen besseren Leben, was sie also zu einer Gemeindewohnung sagen würde, einer neuen, hellen Gemeindewohnung, wo sie alles hätte, was sie bräuchte, alles neu, und nicht zu groß, so daß sie die Wohnung alleine bequem in Ordnung halten könnte, weniger Arbeit, mehr Komfort. König fuhr sich mit der flachen Hand über das Haar, drückte es an seinen Kopf, dann zupfte er die Manschetten seines Hemdes unter den Sakkoärmeln hervor, räusperte sich. Warum sagte sie nichts? Nein, sagte er, sie müsse nicht sprachlos sein, nicht beschämt, es läge an ihm, an ihnen allen hier, dankbar zu sein, wenn sie dieses Angebot annehme, denn dadurch würde auch sie einen Beitrag leisten für die Zukunft von Komprechts, für die neue Zeit. Es sei nämlich geplant, aus dem Steinbruch einen Abenteuersteinbruch zu machen – einen Lehrsteinbruch, sagte Trisko –, ja, mit einem Steinbruchmuseum, und natürlich wäre es naheliegend und sinnvoll, das Steinbruchmuseum hier in diesem Haus einzurichten, das direkt neben dem Steinbruch liege und ganz aus dem Stein dieses Steinbruchs erbaut worden sei, wenn sie also das Haus – natürlich gegen Leibrente – eine schöne Leibrente – eine schöne Gemeindewohnung – warum sagte sie nichts, warum starrte sie ihn so an, ist sie vielleicht
    Frau Nemec wird sicher über den Vorschlag nachdenken wollen, sagte Trisko. Der Zorn, sagte Frau Nemec, brach aber gleich wieder ab, weil Trisko weitersprach, Wir sollten, sagte er, wurde aber von König unterbrochen, der Ja sagte, Ja genau,

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