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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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hatten, auf den Wiesenboden. Mario war umringt von Gratulanten, Viktoria drängelte sich durch. »Mario!« Mehr fiel ihr nicht ein. Sein Gesicht war von Alkohol und Sonne leicht gerötet. Seine Hose hatte Hochwasser. »Wo hast du die Klamotten her?« Noch während sie fragte, wusste sie die Antwort. Etwa fünfzehn Schritte entfernt schlief ein Schützenbruder ohne Uniformjacke in Marios Boss-Jeans an einem Biertisch seinen Rausch aus.
    »Na, das ist ja mal eine Überraschung.« Kai war inzwischen nachgekommen. Er grinste fröhlich vor sich hin.
    Viktoria stammelte: »Aber wie konnte das denn … Er ist doch gar nicht Mitglied.«
    Ein kleiner Mann neben ihr stieß ihr in die Seite. Er war vielleicht sechzig Jahre alt, höchstens einen Meter sechzig groß und offensichtlich vollkommen im Bilde. »Ganz einfach, Frau Reporterin. Er hat uns genervt.«
    Sie verstand nichts. »Genervt?«
    »Ja«, das Männchen neben ihr glühte geradezu vor Vergnügen, ihr alles erklären zu können. Sein Hut wippte fröhlich auf und ab. »Ja, dieser Mario ist schon eine Nervensäge. Sie wissen das wahrscheinlich besser als wir, Sie müssen ja schließlich mit ihm zusammenarbeiten. Und eingebildet isser.«
    »O ja«, versuchte sie ihren Beitrag zum Gespräch zu leisten.
    »Die ganze Zeit hat er da mit seiner dicken Kamera gesessen und uns blöde angequatscht. Wir könnten nicht treffen, sollten mal ordentlich zielen, wir hätten ja nix drauf. Das wurde uns irgendwann zu dumm. Schieß doch selber, du Besserwisser, hat der Hugo dann zu ihm gesagt. Am Anfang natürlich nur so aus Spaß, doch Ihr Kollege hat es wohl ernst genommen. ›Nur her mit dem Schießeisen‹, hat er getönt. Das wollten wir sehen. Also habe ich Matthias da drüben überredet, seine Schützentracht zu verleihen. Und wir haben Mario schnell zum Vereinsmitglied gemacht. Das Formular haben wir auf einer Serviette, sagen wir mal, ›nachempfunden‹, die Unterschrift sehen Sie hier.« Stolz wedelte er mit einem Fetzen weißen Serviettenpapier.
    »Ja, geht das denn so schnell?«
    »Wenn man Bürgen vorweisen kann, schon. Also Kameraden, die für das neue Mitglied die Hand ins Feuer legen.« Das Männchen machte eine gewichtige Pause.
    »Einer der Bürgen bin ich, das Risiko war es mir wert. Die anderen beiden sind Ludger und Alfred.« Ludger und Alfred tanzten gerade Arm in Arm mit Mario eine Art Ringelreihen. Viktoria konnte nicht anders, sie musste lachen.
    Kai hielt ihr das kühle Bier vor die Nase. »Na, das brauchst du doch jetzt?«
    Sie nickte und sagte: »Armer Ferdinand Upphoff. Der wollte doch so gerne König werden. Wo ist der eigentlich?«
    »Da drüben«, Kai zeigte mit der rechten Hand Richtung Wäldchen.
    »Wo?« Sie sah ihn nicht.
    »Na, da ganz hinten, direkt neben …«
    »… dem Nepomuk.« Viktoria stockte der Atem.
    »Hey, du kennst dich aus mit Heiligen?«
    »Mit was?« Sie stand ganz steif da.
    Kai sprach weiter: »Na, die Statue da neben dem Upphoff, das ist der heilige Nepomuk. Eigentlich stehen die Nepomuks dieser Welt immer an Brücken. Dieser ist aber eine Ausnahme. Das Emshochwasser hat ihn vor zig Jahren mal weggespült, da wurde er einfach versetzt. Hier, an den Rand des Schützenplatzes.«
    »Ich weiß.« Ihre Stimme war rau. Flatternde Fahnen. Marschmusik, sie hörte und sah davon nichts.
    »Gut recherchiert!«, lobte Kai sie.
    Sie schüttelte nur ganz langsam den Kopf. »Nein, nicht recherchiert. Ich weiß es. Ich war dabei.«

15. Kapitel
     
    Viktorias Kopf reichte nicht für all die Gedanken, er schwoll an, blies sich auf wie ein Ballon, gleich würde er platzen. Doch Bilder kamen an, die sendete das Gehirn an ihr Bewusstsein. Wie in einem Sieb blieben sie hängen und legten sich zu einem Mosaik zusammen. Es ergab sich etwas, ein Gefühl, ein Zusammenhang, etwas aus ihrem Leben, das sehr alt, sehr verschüttet, sehr traurig war.
    Kalt war es gewesen, und sie war müde. Sie hatte immer wieder Mamas Hand gesucht, doch Mamas Hand hatte anderes zu tun. Die tastete nach Zigaretten, nach Feuer. Der Zug kam. Er kreischte, schrie, sie hielt sich ihre Ohren zu. Der Zug hielt. Die Türen öffneten sich nicht automatisch, ihre Mutter musste an dem großen Griff zerren. Die Zigarette, die Mama weggeworfen hatte, lag auf dem Bahnsteig, und sie konnte die Glut und den Rauch noch durch die schließende Tür sehen, als sie abfuhren. Rumms. Sie setzten sich, alle Plätze waren frei. Sie fühlte das kühle Glas des Fensters an ihrer Stirn. Immer wenn sie

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