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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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sah sie gar nichts mehr. Sie schlenderte ins Festzelt, das langsam immer voller wurde. Da drüben war eine schwarz-grüne Menschentraube, irgendwo darin musste sich Mario feiern lassen. Viktoria lächelte. Erst merkte sie gar nicht, dass einer der alten Männer, die sie am Tag zuvor beim Seniorenkaffee getroffen hatte, ihr zublinzelte. Sie ging auf ihn zu, und er nickte.
    »Na, Püppi, wieder unterwegs?«
    Viktoria schüttelte den Kopf. »Nee, Viktoria ist wieder unterwegs.« Doch dann verstand sie. Sie zog das inzwischen verknickte Foto aus der Tasche und hielt es dem Alten vor die Nase. »Ist das Püppi?«
    »O ja. Wat für ’n hübsches Wicht.«
    »Wicht?«
    »Mädchen.«
    »Aha. Und besonders hübsch?«
    »O ja. So wie Sie, junge Dame.«
    Viktoria fühlte sich plötzlich wie in ihrer Teenagerzeit. Ständig peinlich berührt, weder kindlich noch erwachsen. Ein schrecklicher Zwischenzustand, der eigentlich beendet sein müsste mit Anfang dreißig. »Kannten Sie … diese Püppi näher? Sie war hier Aushilfe, oder?«
    »Nee, also ich kannte sie nicht. War nur nett anzusehen, zapfte fix, und ansonsten war sie eher der anstrengende Typ, glaube ich.«
    Glaube ich auch, dachte Viktoria.
    Eine grau melierte Frau kam auf den Alten zu, sie stützte sich auf einen Stock. »Jetzt komm mal mit, du oller Schwerenöter.« Dann drehte sie sich zu Viktoria um. »Na, hat er versucht, Sie um den Finger zu wickeln?«
    Viktoria lächelte unschuldig.
    »Er kann’s einfach nicht lassen. Jede hübsche Frau will er erobern – aber die wollen alle nicht.« Sie lachte ihren Gigolo-Gatten an. »Komm jetzt, wir gehen.«
    Er erhob sich ohne jedes weitere Wort. Als die beiden langsam an Viktoria vorbeihumpelten, kniff er ihr ganz unauffällig in die linke Hinterbacke.
    Viktoria drehte sich um und schlenderte Richtung Pfad. Sie musste sich ablenken, es würde bestimmt noch eine Weile dauern, bis Kai von seinem Freund zurückkam. Sie folgte dem Brennnesselweg, schlängelte sich durch das kleine Waldstück und betrat wieder das Strandstück an der Ems. Sie setzte sich auf den warmen Sand und schaute auf den Fluss. Eine Libelle brummte an ihrem Kopf vorbei und segelte dann über das Wasser. Die Strömung plätscherte gleichmäßig dahin. Viktoria kramte in ihrer Tasche. Sie würde die Zeit nutzen, um ihre Notizen durchzuschauen. Ihr System war zwar chaotisch, das Material aber umfangreich. Für eine zynisch-deftige Reportage würde es allemal reichen. Sie hatte Namen, witzige Zitate und genug stichwortartige Beschreibungen auf die unterschiedlichsten Zettel notiert. Als Letztes kam ihr ein Blatt von dem Abend in die Hand, als Kai ihr diesen schönen Platz am Fluss gezeigt hatte. Dort stand nur ein Wort: verzaubert.
    »Hier bist du also.« Kai war zurück.
    »Ja, ich habe gerade … ich wollte eigentlich …« Viktoria hatte ihn gar nicht kommen hören.
    »Hast du deine Mutter erreicht?«
    »Ja.«
    »Und?«
    »Nichts und. Sie hat mir alles erzählt.«
    Kai wartete.
    »Sie hat hier gearbeitet in den Semesterferien.«
    »Das war’s?«
    »Das war’s. Einen Bernhard Lütkehaus kennt sie nicht, an das Foto erinnert sie sich nicht. Und alle haben sie hier Püppi genannt.«
    »Heißt sie denn so?«
    »Nein, Marie. Aber jetzt sag schon. Was ist mit den Knochen?«
    Kai lächelte. »Entwarnung.«
    Viktoria atmete erleichtert aus. »Kein Kindermord.«
    »Nein, eine Totgeburt im sechsten oder siebten Monat. Tragisch, aber kein Verbrechen. Und aufgrund der Vorgeschichte von Martha, die ich dir ja nicht verraten darf …«, Kai lächelte entschuldigend, »auch gänzlich unverdächtig.«
    »Sie hatte so was Ähnliches schon mal erlebt. Also Fehlgeburten.« Kai nickte und hob drei Finger hoch.
    Viktoria schüttelte den Kopf. »Drei Fehlgeburten. Das ist hart. Und dann stirbt auch noch ihr Mann.«
    Kai zuckte mit den Schultern. »Was meinst du, sollen wir die Sache mit den Knochen der Polizei melden, oder wollen wir der Alten das Kindergrab lassen?«
    »Wir lassen es ihr.« Beide machten eine kleine Pause, eine kleine Gedenkminute, dachte Viktoria – und beendete sie. »Ich verstehe immer noch nicht, warum dein Vater die Beerdigung für ihren Mann bezahlt hat. War der immer so großzügig?«
    »Im Gegenteil. Ein Pfennigfuchser war er. Er war nett, korrekt, aber ganz und gar sparsam. Es passt gar nicht zu ihm.«
    »Es sei denn …«
    »Es sei denn was?« Kais Stimme klang härter als sonst.
    Viktoria ließ sich nicht beirren. »Es sei denn, er hat

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