Schuld währt ewig
Wand. Im Raum dahinter saß normalerweise ein Kollege, der die Vernehmung aufnahm. Doch es war keine Vernehmung, sondern eine Befragung.
Und Hilmer blieb stur. Er wich nicht aus und log auch nicht. Er machte einfach den Mund nicht auf.
Eine halbe Stunde ging das so, bis Dühnfort die Geduld verlor und zu anderen Mitteln griff. Wenn es mit Gutzureden nicht ging und auch nicht mit Druckmachen, dann eben so.
Er zog seine letzte Trumpfkarte und knallte die Fotografien von Voigts Leiche vor Hilmer auf den Tisch. Gnadenlos ausgeleuchtete Bilder. »Hier. Sehen Sie gut hin. Tot. Erschossen. Hingerichtet! Das war mal Ihr Kollege und Kegelbruder. Und jetzt erzählen Sie mir nicht, Sie hätten den Halter nicht für ihn ausfindig gemacht.« Idiotische Formulierung, dachte Dühnfort im selben Moment. Der Kerl erzählte ja ganz und gar nichts.
Hilmer blickte auf die Fotos und atmete hörbar.
Dühnfort wartete auf ein paar Worte, die ein Gespräch in Gang setzen würden. Sie kamen nicht. »Herr Hilmer, Ihnen scheint die Tragweite dieser Aufnahmen nicht klar zu sein. Jemand hat Ihren Freund erschossen, weil er zu viel wusste. Und derjenige schreckt vor nichts zurück. Er hat nichts mehr zu verlieren. Mittlerweile haben wir vier Tote. Vier! Die auf sein Konto gehen. Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob Eugen dichtgehalten hat, bevor er hingerichtet wurde? Das hat er sicher nicht. Er wird Ihren Namen genannt haben. Es gibt also noch eine weitere Person, die den Täter identifizieren kann, und das sind Sie. Und das bedeutet, dass Sie in Gefahr sind. Ist Ihnen das klar?«
Hilmer schob die Fotos zu einem Haufen zusammen, den er auf der Tischfläche zu einem ordentlichen Stapel richtete wie ein Päckchen Spielkarten und dann mit der Rückseite nach oben ablegte. Endlich erblickten einige Worte das Licht der Welt. »Ich habe für Eugen keine Daten abgefragt. Vielleicht hat er den Unfallverursacher …«
»Mörder, Herr Hilmer. Wir werden das jetzt nicht schönreden.« Dühnfort griff nach dem Bilderstapel und breitete die Bilder erneut vor Hilmer aus.
Hilmer sah an die Wand. »Wie Sie meinen. Vielleicht musste Eugen keine Halterabfrage machen. Vielleicht hat er den Mörder gekannt. Haben Sie daran schon einmal gedacht?«
»Sie bleiben also dabei: Eugen Voigt hat Sie nicht gebeten oder unter Druck gesetzt, ein Kennzeichen für ihn zu überprüfen?«
»Nein. Das hat er nicht.« Hilmers Blick hielt nicht stand.
»Gut. Wenn das so ist, dann brauchen Sie keinen Polizeischutz. Dann haben Sie ja nichts zu befürchten.«
»Das heißt, ich kann gehen?« Mit einem Ruck schob Hilmer den Stuhl zurück, stand auf und starrte auf die Fotografien. Nur eine Sekunde lang. Dann riss er sich davon los.
»Ja. Gehen Sie! Hauen Sie ab. Ich weiß, dass Sie lügen!« Normalerweise wurde Dühnfort unheimlich ruhig, wenn er richtig wütend war. Doch heute war es anders. Er hatte das Gefühl, gleich zu explodieren. Herrgott! Dieser kalte, gleichgültige Beamtenarsch! »Wenn Ihnen Ihre Pension mehr wert ist als Ihr Leben, dann verschwinden Sie!«, brüllte er, riss Hilmers Mantel von der Stuhllehne, drückte ihn dem Mann in die Arme und riss die Tür auf. »Raus mit Ihnen! Verschwinden Sie! Hauen Sie ab! Sie jämmerliches Stück Elend!«
»Wie reden Sie mit mir!« Hilmer schlüpfte in den Mantel. »Ich werde mich beschweren!«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Und jetzt raus!« Eilig verließ Hilmer den Vernehmungsraum. Dühnfort folgte ihm und donnerte die Tür hinter sich zu. Es klang wie das Grollen eines nahenden Gewitters. Russo, der gerade aus seinem Büro kam, blieb stehen und starrte Dühnfort an.
»Und eines schwöre ich Ihnen«, rief er Hilmer nach. »Wenn es weitere Morde gibt, weil Sie feige Sau den Mund nicht aufmachen, dann kriege ich Sie dran, dann werden Sie Ihren Scheißruhestand im Knast erleben.«
Russo trat näher. »Tino? Was ist los? Ein solcher Auftritt von dir … Das gab es ja noch nie. So kenne ich dich nicht.«
Mit den Händen fuhr Dühnfort sich durch die Haare. Ich mich auch nicht, dachte er. »Premiere. Jetzt ist mir mal der Kragen geplatzt.« Ruhiger fuhr er fort. »Hilmer weiß, wer Voigt erschossen hat. Er weiß, wen wir suchen, und er hält die Klappe, weil er sonst seinen Arbeitsplatz verlieren wird und seine Pension.«
Russo zog die Stirn kraus. »Wie sieht es mit Polizeischutz aus? Wenn du recht hast, dann ist Hilmer in Gefahr.«
»Wir werden ihn nicht pampern. Wir werden ihn observieren. Und zwar
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