Schuld währt ewig
Wind war schneidend kalt, riss an Haaren und Schal. Dühnfort schlug den Mantelkragen hoch und ging durch die Fußgängerzone Richtung Karlstor. Der Duft von heißen Maroni stieg ihm in die Nase. Am Stachus wurde eine Eisfläche für Schlittschuhläufer aufgebaut. Weihnachten auf Sylt. Gina kam mit. Eine leise Welle Glück brandete in ihm an.
Kurz darauf betrat er die Geschäftsräume der Neumeister Zahntechnik GmbH. Gut ausgeleuchtete Räume. Weiß und Grau. Ein Geruch nach etwas undefinierbar Chemischem. Linker Hand stand eine Tür offen. Eine mollige Frau in Jeans und roséfarbenem Twinset stand vor einer Hängeregistratur und musterte ihn. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte Herrn Rodewald sprechen.«
»Wenn es um Zahnersatz geht, wenden Sie sich besser an meinen Chef.«
Dühnfort zeigte ihr seinen Ausweis. »Nur ein paar Fragen.« Ein irritiertes Lächeln erschien. »Ich hole ihn.«
Sie ging den Flur entlang und verschwand in einem Raum. Einen Augenblick später erschien sie wieder, gefolgt von einem Mann. Ein mittelgroßer Durchschnittstyp um die dreißig mit modischer Frisur und einem unverbindlichen Lächeln. Über der schwarzen Jeans trug er einen weißen Laborkittel. An einer Hand haftete ein Rest rosa Kunststoffmasse. »Natalie sagt, Sie wollen mich sprechen?«
»Können wir irgendwo ungestört reden?«
Natalie wies auf eine Tür gegenüber. »Der Konfi ist frei.«
Rodewald ging voran und schloss die Tür hinter Dühnfort. Ein Konferenztisch, von einem Dutzend Stühle umgeben. Flipchart, Beamer, Leinwand. Rodewald blieb stehen. »Was wollen Sie?«
»Eine Routinebefragung. Es geht um den Unfall vor zwölf Jahren.«
Rodewald schien überrascht. »Diese alte Geschichte? Das ist ewig her, und der alte Oberhausner ist vor ein paar Wochen gestorben.«
»Sie standen also in Kontakt mit ihm?«
»Mit dem Oberhausner? Wirklich nicht.«
»Woher wissen Sie, dass er verstorben ist?«
»Keine Ahnung, worauf Sie hinauswollen …« Er zuckte mit den Schultern. »Letztes Wochenende habe ich meinen Vater besucht. Er lebt noch in Zorneding. Er hat es mir erzählt.«
»Dieser Unfall … Da hat jemand eine Sekunde nicht aufgepasst, und das hatte Folgen für Ihr Leben, für Ihre Pläne, Ziele und Träume. Wie kommen Sie damit zurecht?«
Rodewalds Augen wurden schmal, der Blick ging knapp an Dühnfort vorbei. »Ich verstehe nicht, warum Sie das interessiert, nach all dieser Zeit.«
Auch eine Antwort, dachte Dühnfort. »Kennen Sie Jens Flade?«
»Flade? Nein. Nie gehört.«
»Ihre Frau kennt ihn. Hat sie nie von ihm gesprochen?«
»Wir sind geschieden.«
»Das ist schon einige Jahre her. Sie hat ihn durch ihre Arbeit beim KIT kennengelernt. Hat sie ihn nie erwähnt?«
»Kann schon sein«, räumte Rodewald ein. »Übers KIT hat sie viel geredet. Ich habe mir nicht alles gemerkt.«
»Martina Oberdieck und Margarethe Hasler? Haben Sie diese Namen schon einmal gehört?«
»Nein.«
Bemerkenswert schnell kamen die Antworten.
»Fahren Sie einen SUV ?«
»Nein. Und jetzt verraten Sie mir, weshalb Sie all das fragen.«
»Wie gesagt, Routine. Ich bin schon fertig.«
Rodewald begleitete Dühnfort zum Ausgang. »Was ich nicht verstehe: Oberhausner ist schuld daran, dass Sie Ihre Lebensträume nicht verwirklichen konnten, und Sie werfen ihm das nicht vor?«
»Was soll ich denn einem Toten vorwerfen? Ich lebe schon zwölf Jahre mit diesem Handicap. Man gewöhnt sich daran. Die Konzentrationsstörungen haben nachgelassen, gegen die Kopfschmerzen nehme ich Tabletten, und die Narbe …« Rodewald blickte für einen Augenblick über Dühnforts Schulter ins Leere. »Ist der Oberhausner etwa ermordet worden? Sind Sie deshalb da?«
»Nein. Nicht er.«
»Sondern?«
»Jens Flade. Martina Oberdieck. Margarethe Hasler. Und Eugen Voigt. Der Name ist Ihnen vermutlich auch nicht bekannt.«
»Was?« Rodewald lehnte sich gegen den Türstock, als suche er Halt.
»Kennen Sie Voigt?«
»Nein. Ich kenne keinen von denen.« In Rodewalds Gesicht ging eine Veränderung vor sich. Es verschloss sich.
Das Handy vibrierte. Meo meldete sich. »Bingo. Wir haben einen Treffer. Ob das Hilmer war oder doch seine Kollegin, das kannst du ja später klären. Aber wir haben den SUV . Ein Honda CR -V, Baujahr 1997, schwarz. Zwei Tage nach dem Mord an Flade wurde er an einen Autoankäufer verhökert, der die alten Karren in die ganze Welt verscherbelt. Aber bis vor drei Wochen war er auf Arno Rodewald zugelassen.«
73
Gina
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