Schuld währt ewig
gesehen, dass der Fahrer telefonierte. Dadurch war er wohl abgelenkt und hat nicht bemerkt, dass er mit seinem Fahrzeug über die Mittellinie zog und das Auto der Mädchen abdrängte.« Wieder fuhr Oberdieck sich mit der Hand über die Augen. »Wenn sie doch nur gehupt hätte, oder ordentlich Gas gegeben … Sie hätte es vielleicht schaffen können.«
Dühnfort sah Bilder, die er nie gesehen hatte. Den Sattelzug, der weiter und weiter auf die Gegenspur geriet. Den Audi mit den Mädchen auf Höhe des Anhängers. Die Fahrbahn, die immer enger wurde. Eine Kurve. Ein Fluss. Ein Auto, das die Leitplanke durchbrach. »Der Wagen ist bei dem Unfall in den Fluss gestürzt?«
Oberdieck nickte. »Er kam auf der Beifahrerseite zu liegen. Die Amper ist nicht tief. Die Mädchen waren beide bewusstlos. Die Airbags hatten sich aufgeblasen, und auch die Gurte haben schlimmere Verletzungen verhindert. Doch das Auto war völlig zertrümmert. Es lief voll. Es ist nicht Tinas Schuld, dass Steffi ertrunken ist. In dreißig Zentimeter tiefem Wasser. Sie konnte ihr nicht helfen. Sie war bewusstlos.« Oberdieck ließ sich ins Polster zurückfallen. »Es war ein schrecklicher Unfall. Der LKW -Fahrer hat ihn vermutlich nicht bemerkt. In den Außenspiegeln war die Unfallstelle wegen der Kurve nicht zu sehen. Das hat die Polizei jedenfalls bei einer Rekonstruktion festgestellt. Der Fahrer wurde nie ausfindig gemacht.«
»Steffi ertrank. Martina wurde … starb auf dieselbe Art. Sie vermuten einen Racheakt?«, fragte Dühnfort.
Martinas Mutter richtete sich auf. »Die Parallelen … Am Ufer, im seichten Wasser. Martina starb genau so wie Steffi.« Sie konnte die Tränen nicht länger unterdrücken. Schluchzend schlug sie die Hand vor den Mund.
Oberdieck strich seiner Frau über den Arm, richtete seine Worte aber an Dühnfort. »Steffis Eltern haben sich bis heute nicht damit abgefunden, dass es kein Gerichtsverfahren gab, dass niemand zur Rechenschaft gezogen wurde. Sie brauchen einen Schuldigen. Sie sind davon überzeugt, dass Tina den LKW erfunden hat. Obwohl es einen Zeugen gibt. Ein Mann hat den Unfall gesehen. Er war mit seinem Hund unterwegs und ist den Mädchen sofort zu Hilfe gekommen. Aber er konnte Steffi nicht retten. Seine Aussage deckt sich mit der von Tina. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.«
»Das ist über drei Jahre her?« Nach so langer Zeit erschien Dühnfort ein Racheakt nicht unbedingt einleuchtend.
Oberdieck ließ die Hand seiner Frau los. »Und seit drei Jahren erzählen Steffis Eltern jedem, der es hören will, dass Tina lügt, dass sie zu schnell gefahren sei und Steffi auf dem Gewissen habe, und dass es von mir völlig verantwortungslos war, dieses Geschoss von Fahrzeug einer Fahranfängerin anzuvertrauen.«
Sabine Oberdieck strich den Rock glatt. »Man hat uns im Dorf geschnitten. Meine Mitgliedschaft im Tennisverein musste ich aufgeben, und einkaufen gehe ich hier schon lange nicht mehr. Wir haben überlegt, wegzuziehen. Doch das käme einem Schuldeingeständnis gleich.«
»Haben Steffis Eltern Martina bedroht?«
»Nein. Das nicht. Sie hetzen gegen sie und können ihr nicht verzeihen, dass sie den Unfall überlebt hat.«
»Auch in letzter Zeit, seit Martina in München wohnt?«
»Sie glauben uns nicht.« Es klang resigniert. Kraftlos ließ Oberdieck die Hände sinken.
»Ich will mir ein Bild machen. Außer Steffis Eltern gibt es niemanden, der ein Motiv haben könnte? Ein ehemaliger Freund? Einer, den sie vielleicht zurückgewiesen hat?«
Martinas Eltern fiel niemand ein. Tina war beliebt gewesen. Patrick war nicht verlassen worden, sondern hatte sich selbst von ihr getrennt, und es gab keine abgewiesenen Verehrer. Entweder waren es Steffi Schünemanns Eltern gewesen, oder Tina hatte sich zur falschen Zeit am falschen Ort befunden.
Das glaubte Dühnfort nicht. Tina war losgezogen, um sich Winterstiefel zu kaufen. Irgendwo in Schwabing oder vielleicht auch in der Innenstadt musste sie ihren Mörder getroffen haben.
Er verabschiedete sich und suchte das Haus der Schünemanns auf. Es rührte sich nichts. Alle Rollläden waren heruntergelassen. Dühnfort klingelte bei der Nachbarin und erfuhr, dass Steffis Eltern seit sechs Tagen verreist waren. Eine Woche New York. Morgen würden sie zurückkehren.
Auf dem Heimweg rief ihn sein Chef, Leonhard Heigl auf dem Handy an und teilte ihm mit, dass Helmbichler nicht mehr in Passau wohnte. »Er ist bei einem Kumpel in Sendling untergekommen. Ganz in
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