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Schuld währt ewig

Schuld währt ewig

Titel: Schuld währt ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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deiner Nähe. Tino, ich habe kein gutes Gefühl und hab seine Daten an die Innenstadtstreifen gegeben. Sie haben ein Auge auf ihn. Trotzdem: Pass auf dich auf.«

23
    Und wenn er jedes Blatt Papier und jeden Zettel umdrehen musste, wenn er jede von Flades Unterhosen auseinanderfalten, unter dem Teppich nachsehen und die Zahnpastatube ausdrücken würde: Er würde Tino beweisen, dass Flades viel zu früher Tod Folge eines Unfalls mit Fahrerflucht war, und dann würde er das Abstellgleis verlassen und wieder mitmischen im Fall Oberdieck.
    Derart motiviert begann Alois damit, Jens Flades heimisches Arbeitszimmer zu durchsuchen, und nahm sich seine privaten Unterlagen vor. Das war die meiste Arbeit. Also brachte man die am besten zuerst hinter sich. Beim Anblick einer Regalwand voller Aktenordner stieß Alois einen stummen Fluch aus, dem bald eine Kaskade Schimpfwörter folgte: Nur ein Teil der Ordner enthielt, was auf den Rückenetiketten stand. Wenn überhaupt irgendetwas darauf stand. Ordnung ist das halbe Leben. Das sagte seine Oma immer. Hier schien das im Wortsinn zu stimmen. Allerdings nicht halb und halb, sondern eher zwanzig zu achtzig. Nur die Ordner der letzten zwei Jahre waren ordentlich geführt. Die davor schienen nach dem Prinzip gefüllt worden zu sein, Hauptsache das Zeug ist abgeheftet und setzt nicht länger auf dem Schreibtisch Staub an.
    Bettina Flade sah einmal kurz herein, während Alois sich durch das Chaos wühlte. »Möchten Sie etwas trinken? Einen Kaffee vielleicht oder ein Glas Wasser?«
    So weit kam es noch, dass er sich von einer Schwangeren bedienen ließ. Er fragte, ob sie grünen Tee dahatte, und machte sich selbst eine Kanne voll.
    Gegen drei Uhr nachmittags stellte er den gefühlt tausendsten Ordner ins Regal zurück und griff nach dem tausendundersten. Flade schien von der Wiege bis zur Bahre jedes Stück Papier seines Lebens aufbewahrt zu haben. Alle Uni-Skripte. Massenhaft Skizzen und Entwürfe. Jedes Zeugnis, das er erhalten hatte, und ebenso jede Urkunde. Bundesjugendspiele. Skikurse. Freischwimmer, Fahrtenschwimmer. Tauchabzeichen. Alois stöhnte und blätterte sich durch die Seiten. Als er sich an einem Bogen Papier die Fingerkuppe aufritzte, verwünschte er seine Entscheidung, diesen Job selbst zu erledigen, während Sandra Gottwald die Mutter von Jens Flade aufsuchte, die seit einem Schlaganfall in einem Seniorenstift in Würzburg lebte.
    Er stellte den Ordner zurück und zog den nächsten hervor. Recherchematerial für eine Semesterarbeit zum Thema Statik. Dann das Skript der Arbeit. Die Hochzeitseinladung eines befreundeten Paares. Ein Bafög-Bescheid. Ein Schreiben der Staatsanwaltschaft München vom Dezember 2006. Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gemäß Paragraph 170/2 St PO .
    Aber hallo! Was war das? Strafprozessordnung?
    Alois besah sich das einseitige Schreiben. Oben links waren zwei kleine Löcher, wie eine Klammer sie hinterließ. Die zweite Seite fehlte. Außer einem Aktenzeichen kein Anhaltspunkt. Er zog das Handy aus der Halterung am Gürtel und rief Verena an. Verena Meier. Ihres Zeichens Staatsanwältin für Strafsachen und im Frühling für einige Wochen die Frau an seiner Seite. Eine lebhafte Blondine mit herber Stimme und reichlich Humor. Ihre Liaison war in aller Freundschaft im Sande verlaufen. Zu unverbindlich, hatte Verena gefunden, die mittel- bis langfristig mehr fürs Verbindliche war. Nach dem zweiten Läuten meldete sie sich. »Oh, Münchens schönster Kriminaler sehnt sich nach mir. Wie das?«
    »Die Tage werden kurz, die Nächte lang.«
    »Und du fürchtest dich im Dunklen?«
    Das entlockte ihm ein Lachen. »Nur, wenn ich alleine bin.«
    »Soll ich Händchenhalten kommen?«
    »Schöne Idee. Wollen wir essen gehen? Heute Abend?«
    »Hm. Ich weiß nicht, ob das ein guter Plan ist. Bekomme ich Bedenkzeit?«
    »Natürlich. Könntest du mir einen Gefallen tun, während du bedenkst?«
    »Aha, daher weht der Wind.« Ihre Stimme klang dunkel, aber heiter durchs Telefon. »Ich vermute, du hast ein Aktenzeichen?«
    Er hatte schon einige Male auf diesem kleinen Dienstweg Akteneinsicht genommen. Und Verena hatte ihn schon immer leicht durchschaut. Er nannte es ihr. »Kannst du nachsehen, weswegen 2006 gegen Flade ermittelt wurde?«
    »Sofort?«
    »Wenn du Zeit hast.«
    »Eigentlich nicht … Aber ich nehme sie mir und rufe dich zurück.«
    Während Alois wartete, trank er eine Tasse grünen Tee und sah hinunter auf die Straße. Aus dem Wohnzimmer

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