Schuld währt ewig
wirst?«
»Schmarrn.« Sanne spürte die Röte über den Hals ins Gesicht kriechen und ihre Worte Lügen strafen.
»Richtig rot sogar. Sag nur, da läuft etwas zwischen dir und Thorsten?«
»Ich war einmal mit ihm im Bett, und das war ein großer Fehler.«
Natürlich wollte Laura das nun ganz genau wissen, und Sanne erzählte, wie es dazu gekommen war, und auch von ihrer Sorge, die Freundschaft zu Thorsten könnte daran zerbrechen.
»Ich mag ihn. Er hat sich damals wie selbstverständlich um mich gekümmert, war immer da, wenn ich jemanden brauchte. Als ob nicht ich diejenige …« Sie atmete durch. »Er hat mir die Schuldgefühle genommen und wollte mich sogar in eine Selbsthilfegruppe stecken, die er zusammen mit seiner Freundin gegründet hat.«
»Stecken?«
»Na ja, dieser Psychokram … Ich halte nicht allzu viel davon. Ich habe mir die Gruppe ein- oder zweimal angesehen. Und das war es dann. Das ist nichts für mich. Ich muss alleine damit klarkommen, auch wenn Thorsten das berufsbedingt anders sieht.«
Laura stellte das Glas ab. »Sag ich doch: ein Samariter. Also mir sind diese selbstlosen Typen ja eher unheimlich. Wer so aufopfernd und barmherzig ist und alles für andere gibt, hat irgendwo ein Problem, finde ich.«
»Thorsten aber nicht. Er steht mit beiden Beinen im Leben und weiß, was er tut. Das einzige Problem, das er im Moment hat, ist die Zurückweisung durch zwei Frauen. Zuerst hat Lydia ihn verlassen, und ich will nur seine Freundschaft. Okay, die Nacht mit ihm … Also der Sex war gut … aber mehr ist da nicht. Und auf eine reine Bettgeschichte will ich mich nicht einlassen. Vielleicht ginge das, wenn er nicht in mich verliebt wäre … Auf Augenhöhe sozusagen. Aber so … Er würde sich immer mehr erwarten und ich ihn noch mehr verletzen.« Sanne griff nach dem Glas und trank vom Wein. Er war herb und fruchtig.
Sie wusste nicht, wie sie die ersten Monate nach dem Unfall ohne Thorsten überstanden hätte.
Normalerweise kümmerte sich ein Kriseninterventionsteam nur kurzzeitig um Angehörige, Zeugen oder Beteiligte eines Unfalls. Doch Thorsten hatte sie unter seine Fittiche genommen, ihr stundenlang zugehört und ihr geholfen. Er war zu ihrem Fels in der Brandung geworden.
An jenem schrecklichen Abend war er plötzlich da gewesen. Ludwigs Eltern, Evelyn und Nils, saßen im Wohnzimmer und klammerten sich aneinander, während sie in der Küche von der Polizei befragt wurde. Sanne versuchte einer Polizistin zu erklären, was geschehen war, und hörte Evelyns Vorwürfe dennoch. Ihre schrille Stimme klang durch den Flur bis in die Küche. Sie ist unzuverlässig … Ludwig geschlagen … nicht belastbar … wie konnte ich ihr nur mein Kind anvertrauen … einfach aus dem Bett gefallen … es hat doch eine Absturzsicherung …
Sanne fror. Ihr war so entsetzlich kalt, dass sie zitterte und sogar mit den Zähnen klapperte und es nicht verhindern konnte. Es entzog sich ihrer Kontrolle. Ein Mann mit neonoranger Weste und weißer Hose erschien in der Küche. Freundlich, aber bestimmt schritt er ein. »Die Frau steht unter Schock. Sehen Sie das denn nicht? Sie braucht ärztliche Hilfe.« Thorsten Languth stand auf dem Namensschild an seiner Weste. Er hatte den Notarzt hereingerufen, der gerade das Haus verlassen wollte.
Laura streichelte Herrn Kater. »Freundschaft wäre doch eigentlich eine gute Basis für eine Beziehung.«
Sanne zog die Schultern hoch. »Vielleicht bin ich dafür nicht pragmatisch genug. Für mich gehört mehr dazu als nur Sex. Wenigstens ein paar romantische Gefühle.«
Wenn ihre Freundschaft zu Thorsten zerbrach, würde sie ganz alleine dastehen. Die wenigen Bekanntschaften, die sie hatte – Freundschaften konnte man das wirklich nicht nennen –, stammten alle aus seinem Umfeld. Uli, die wie Thorsten ehrenamtlich beim KIT arbeitete. Markus, Thorstens bester Freund, ein Geologe. Und natürlich Lydia, Thorstens Exfreundin, die Psychotherapeutin.
Ihre Freunde aus den Studententagen waren ihr im Lauf der Zeit abhandengekommen. Ein schleichender Prozess, der mit dem Abbruch des Studiums begonnen hatte.
Seit sechs Jahren hatte Thorsten einen festen Platz in ihrem Leben. Sie wollte ihn nicht verletzen und ebenso wenig verlieren. Doch sie wusste nicht, wie ihr das gelingen sollte.
Gemeinsam mit Laura leerte sie die Flasche. Kurz vor Mitternacht verabschiedeten sie sich. Sanne räumte die Küche auf und warf die Zeitung in die Altpapierkiste, die im Nebenraum
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