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Schuld währt ewig

Schuld währt ewig

Titel: Schuld währt ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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unrecht hatte er nicht. Genauer gesagt hatte er diese diffuse Angst, die in ihr arbeitete, sehr präzise in Worte gefasst. »Ja, da ist etwas dran. Entschuldige. In diese Richtung gehen meine Überlegungen wohl.«
    »Siehst du. Und wenn man das mal laut ausspricht, dann erkennt man auch, wie unsinnig eine solche Idee ist. Wir leben in München und nicht in den USA . Wir leben im richtigen Leben und nicht in einer Fernsehserie. Bei uns gibt es keine Serienmörder.« Mit diesen Worten legte er seinen Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. Ganz Beschützer. Und ziemlich besitzergreifend. Liebevoll sah er sie an. »Alles ist gut.« Seine Hand glitt über ihre Wange.
    Die eine Sorge verschwand. Eine andere tauchte auf. Thorsten sagte zwar, dass er sich mit Freundschaft begnügen wollte, aber er handelte entgegengesetzt. Er suchte Nähe und Zärtlichkeit. Plötzlich empfand sie das Gewicht seines Arms als Last. Sie machte sich los, indem sie nach ihrer Tasche griff und ein Papiertaschentuch hervorzog. Dabei bemerkte sie die Veränderung, die in seinem Gesicht vor sich ging. Er hatte ihr Manöver durchschaut und war enttäuscht.
    »Und Martina? Sie hatte wohl kaum Kontakt zur Russenmafia«, entgegnete Sanne und war selbst über ihren pampigen Tonfall erstaunt.
    Thorsten schob die Hände in die Jackentasche. Es sah aus, als ballte er die Fäuste. »Die meisten Frauen werden Opfer von Beziehungstaten. Vielleicht hat sich ein Ex von ihr gerächt oder sie ist einem Perversen über den Weg gelaufen. Sollen wir ihre Eltern mal fragen, ob sie vergewaltigt wurde? Würde dich das dann beruhigen?«
    Aber hallo! Nun war er also beleidigt. Sanne beschloss, das Thema besser ruhen zu lassen.
    Uli, die bisher schweigend neben ihnen hergegangen war, mischte sich nun ein. »Meinst du nicht, dass du zu weit gehst? Sannes Überlegungen sind absolut berechtigt. Man kann die Ähnlichkeiten in beiden Fällen nicht einfach wegreden.«
    Sanne war Uli für ihre Intervention dankbar.
    Thorsten blieb stehen. »Zufall. So etwas passiert. Aber bitte, wenn ihr euch jetzt gegenseitig hochschaukeln und in Panik versetzen wollt, dann macht das. Aber ohne mich. Mir ist die Lust auf einen Kaffee vergangen.« Mit diesen Worten drehte er sich um.
    Sanne sah ihn davongehen. Etwas lief in die falsche Richtung, seit dieser vermaledeiten Nacht. Hätte sie doch nur nicht dieser spontanen Regung nachgegeben. Den Impuls, ihm nachzurennen, unterdrückte sie.
    Auch Uli sah Thorsten hinterher. »Es ist besser, wenn er sich erst einmal abkühlt. Dann kannst du wieder vernünftig mit ihm reden. Hoffentlich. Hast du noch Lust auf den Kaffee?«
    »Eigentlich nicht«, antwortete Sanne ehrlich.
    »Kein Problem. Ich muss nur langsam ins Warme, sonst hole ich mir eine Blasenentzündung. Bist du mit dem Auto da, oder soll ich dich mitnehmen?«, fragte Uli.
    »Das ist lieb von dir, aber nicht nötig. Zur U-Bahn ist es ja nicht weit.«
    »Gut, dann begleite ich dich bis dahin.«
    Zehn Minuten später standen sie vor der Rolltreppe, die hinunter zur U-Bahn-Station führte.
    Zum Abschied umarmte Uli sie. »Pass auf dich auf, Sanne.«
    »Klar. Mach ich.«
    Ein dunkler Schimmer zog über Ulis Augen. »Ich meine das ernst. Was du vorhin auf dem Friedhof gesagt hast … Deine Vermutung ist nicht von der Hand zu weisen.«
    »Du meinst wegen Jens und Martina.« Etwas schnürte ihr plötzlich die Kehle zu. Bisher waren diese Überlegungen irgendwie abstrakt, eher theoretisch gewesen, doch nun drängten sie sich mit aller Macht in ihre Wirklichkeit.
    Fröstelnd schob Uli die Hände in die Jackentasche. »Es gibt noch eine weitere Parallele. Jens und Martina waren nicht nur beide schuldlos schuldig und starben auf die gleiche Weise wie die Menschen, an deren Tod sie beteiligt waren. Sie haben auch beide die Gruppe von Lydia besucht. Genau wie du.«
    »Aber ich habe mir die doch nur ein paar Mal angesehen und war nicht einmal Mitglied.«
    »Jens und Martina haben auch nur einige Sitzungen besucht.«
    »Was willst du denn damit sagen?«
    Ein Lächeln huschte über Ulis Gesicht. »Vermutlich, dass Lydia nicht gerade eine geschickte Gruppentherapeutin ist.« Uli nahm sie in den Arm und zog sie an sich. »Entschuldige. Ich rede lauter blödes Zeug. Ich wollte dir keine Angst machen und habe offenbar das Gegenteil erreicht.«
    »Schon gut. Ich muss jetzt los. Meine U-Bahn fährt in zwei Minuten.« Sanne löste sich von Uli und lief die Rolltreppe hinunter.
    Wie aus dem Nichts war die Angst

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