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Schuld währt ewig

Schuld währt ewig

Titel: Schuld währt ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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sondern einfach nur ein gleichmäßiges Ein- und Ausatmen. So ein Mistkerl! Wofür hielt er sie? Und vor allem sich? Glaubte er wirklich, sie ließe sich so in Angst und Schrecken versetzen? Wenn, dann hatte er sich getäuscht.
    »Ich bin mal gespannt, wer von uns beiden das länger aushält. Sie oder ich? Ich wette, ich.«
    Doch diese Wette verlor Sanne. Sein Schweigen und Atmen kroch durchs Telefon, füllte das Zimmer mit einem Nebel aus Bedrohung. Mit zitternden Fingern legte sie schließlich auf und starrte aus dem Fenster in graue Ödnis. Eine schwere Wolkendecke lag über der erstorbenen Natur, als wollte sie alles ersticken. Kahle Äste reckten sich wie skelettierte Finger gen Himmel. Nirgendwo Licht. Überall nur Schatten und Halbdunkel. Unsicherheit und Angst stiegen in Sanne auf. Was geschah mit ihr?
    Das Telefon klingelte. Herrgott! Der traute sich was! Angst wich Wut. Sanne riss das Telefon aus der Ladeschale. »Hören Sie auf damit. Lassen Sie mich in Ruhe!«
    »Sanne?« Eine Frauenstimme.
    »Ja.«
    »Uli hier. Ich wollte mich nur vergewissern, dass du gut nach Hause gekommen bist. Ist alles in Ordnung mit dir?«

38
    Alois verließ die Apotheke der Meinhardts. Hier kam er nicht weiter. Die Alibis standen.
    Er stieg in den Mini, zog das iPhone hervor und googelte »schuldlose Schuld«+München. Gestern hatte er das nicht mehr geschafft, doch vor dem Meeting, das Tino für elf angesetzt hatte, wollte er der Sache nun auf den Grund gehen.
    Mit dieser Suche erzielte er keinen Treffer, der ihn zu einer Selbsthilfegruppe führte. Erst als er mit diesem Zusatz suchte, kam er ans Ziel: »schuldlos schuldig«. Er klickte auf den Link und gelangte auf die Webseite einer Psychotherapeutin. Im Impressum fand er Adresse und Telefonnummer. Lydia van Gierten. Das klang zickig. Diplom-Sozialpädagogin und Psychotherapeutin. Eine Sozpäd. Das auch noch. Diesen Berufsstand hatte Alois gefressen. Lauter Gutmenschen mit Sendungsbewusstsein.
    Vorher anrufen oder einfach unangemeldet auftauchen? Er entschied sich für die Überrumpelungstaktik, gab die Adresse ins Navi ein und fuhr nach Bogenhausen.
    In dieser Ecke Münchens wohnten eindeutig die Besserverdienenden. Villen verbargen sich hinter Mauern und Hecken und Luxuskarossen in den Tiefgaragen darunter.
    Die Praxis von Lydia van Gierten befand sich in der ersten Etage eines schlichten Neubaus. Alois klingelte. Einen Augenblick später summte der Türöffner. Er trat in einen Vorraum, von dem vier Türen abgingen. Die linker Hand stand offen und gewährte Einblick in einen Raum, in dem orientalisch anmutende Sitzkissen in einem großen Kreis lagen. Vermutlich war das der Gruppenraum. An der Tür gegenüber pappte ein Aufkleber: WC . Daneben befand sich eine kleine Küche. Die Tür zu seiner Rechten wurde geöffnet. Eine Frau trat heraus. Mittelgroß, ein paar Kilo zu viel auf den Rippen. Eine phantastische Oberweite zeichnete sich unter einem hautengen Pullover ab. Schöner Mund. Als Alois’ Scannerblick bei den gletscherblauen Augen ankam, musterten diese ihn bereits. Er fühlte sich ertappt. Gerade hatte er bewiesen, typisch Mann zu sein. Erst der Busen, dann der Mund. Tolle Haare. Er kam nicht umhin, das zu bemerken. Schulterlang. Strohblond. Natur. Sah man selten.
    Nun zog sie die Tür hinter sich zu. »Sie können hier nicht einfach hereinplatzen«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Die Anmeldung erfolgt telefonisch. Täglich zwischen neun und zehn Uhr. Oder schreiben Sie eine Mail.« Mit diesen Worten nahm sie eine Visitenkarte aus einer Schale, die auf einem Tischchen stand, und hielt sie ihm hin.
    Alois zog seinen Dienstausweis hervor. »Fünfanger. Kripo München. Es geht um Ihre Selbsthilfegruppe.«
    Ein missbilligender Zug erschien um ihren Mund. »Sie kommen wegen Jens und Martina. Den Weg hätten Sie sich sparen können. Die Gruppe hat damit nichts zu tun, und ich habe jetzt keine Zeit. Ich habe eine Patientin.« Mit der Hand wies sie auf die Tür hinter sich.
    Zickig. Hatte er ja schon geahnt. »Beide haben Ihre Selbsthilfegruppe besucht. Beide sind tot. Und außerdem haben Sie für Kontakt zwischen Hinterbliebenen und Unfallbeteiligten gesorgt. Sehr schlaue Idee übrigens. Natürlich werde ich mir Ihren Laden ansehen. Notfalls nehme ich mit richterlichem Beschluss die ganze Bude auseinander.«
    Dieser Spruch zeigte Wirkung. Er sah förmlich, wie Lydia van Giertens Gedanken hinter der glatten Stirn durcheinanderpurzelten. Die Polizei, in ihrer Praxis!

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