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Schuld währt ewig

Schuld währt ewig

Titel: Schuld währt ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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Gedanken verhakten sich in dieser unaussprechlichen Frage.
    Sie hatte doch nicht …
    In der Stille der Nacht dröhnte der Porsche durchs Dorf. Sie erreichte den Autobahnring. Gab Gas. Drei Uhr nachts. Die Autobahn so gut wie leer. Auf der rechen Spur krochen LKW s. Die Fahrbahn war trocken.
    225 km/h.
    Bremslichter. Rechts eine Lücke. Dort vorbei. Drei Uhr sieben. Ostkreuz. Dann auf die A9 Richtung Nürnberg. 245 km/h. Die Tachonadel ganz ruhig. Drei Spuren. 260 km/h. Die erste Radarfalle. Runter vom Gas. 120. Sie stand beinahe. Vorbei. Beschleunigen. Die Tachonadel stieg zitternd auf 250. Doppeltes Elefantenrennen. Diese Ärsche! Keine Zeit für Lichthupe. Standspur und vorbei.
    Adrenalin bis in die Haarspitzen.
    Nacht und Lichter rauschten vorüber. Der Motor dröhnte. Der Porsche lag gut auf der Straße, saugte sich fest, hielt Spur. Volle Konzentration. Keine Zeit für anderes. Puls sicher hundertachtzig. Fischbach vier Uhr vier. 57 Minuten. Neuer Rekord. Sanne verließ die Autobahn, fuhr über den Zubringer zurück auf die A9, Richtung München. Wieder drehte sie voll auf. Nordkreuz: fünf Uhr drei. 59 Minuten.
    Auf der Umgehungsautobahn verringerte sie das Tempo. Langsam runterkommen vom Adrenalinrausch.
    Es war beinahe Viertel nach fünf, als sie Paschkofen wieder erreichte. Schwarz lag die Nacht über den Gebäuden. Im Haus war es dunkel. Sanne warf Pulli und Jeans achtlos auf den Boden und ließ sich erschöpft ins Bett fallen.
    Bis der Wecker um sieben klingelte, hatte sie beinahe zwei Stunden traumlos geschlafen. Einen Moment überlegte sie, sich umzudrehen, stand dann aber doch auf und sah zuerst nach Herrn Kater. Auch er war wach und wollte raus. Sanne öffnete ihm die Tür zum Garten.
    Sie fühlte sich völlig zerschlagen. Ihr Kopf dröhnte. Sie sog die kalte Luft ein und wurde wacher.
    Der Morgen dämmerte. Ein silbriger Schimmer stieg über der Silhouette des Waldes auf. Davor lag ein Streifen Hochnebel über der Wiese, die sich jenseits des Gartenzauns erstreckte. Und dort stand jemand.
    Domegall.
    Mit gespreizten Beinen stand er im feuchten Gras und vollführte in einer fließenden Bewegung eine halbe Drehung. Dabei hob er die Arme, senkte sie, als ob er den beginnenden Tag beschwichtigen wollte, hob sie, schwang sie zur Seite, und das alles in einer unendlich langsamen, geschmeidigen Bewegung. So wie Wasser über Steine floss. Endlose Ruhe und Kraft lagen darin.

36
    Beim Frühstück las Sanne die Zeitung. Im Laufe der Jahre hatte sie sich einen Scannerblick angewöhnt, der ihr anhand eines Bildes oder Schlagworts signalisierte, welche Artikel sie nicht lesen würde. Alles, was mit Mord, Totschlag, Unfällen und sonstigen Katastrophen zu tun hatte, beachtete sie nicht. Auch die Todesanzeigen überblätterte sie regelmäßig. Doch heute blieb ihr Blick an einem Namen hängen, fror förmlich daran fest. Martina Oberdieck. Eine Schockwelle durchlief sie. Martina?
    Martina war tot! Doch nicht Martina. Aber da stand ihr Name. Geliebte Tochter … Aus dem Leben gerissen … Trauerfeier 13.00 Uhr … Waldfriedhof.
    Aus dem Leben gerissen. Was war passiert? Ein Unfall? Eine schreckliche Krankheit? Sollte sie zur Beisetzung gehen? Besser nicht. Zu viele Menschen. Oder doch? Obwohl sie Martina kaum kannte, fühlte sie sich ihr verbunden. Deutlich mehr als Jens. Vielleicht lag es daran, dass sie als Frauen das Schicksal teilten, schuldlos schuldig zu sein.
    Sanne legte die Zeitung weg und starrte aus dem Fenster. Würde in diesem totengrauen November denn niemals die Sonne scheinen!
    Wie war Martina gestorben? Diese Frage ließ Sanne in der folgenden Stunde keine Ruhe. Schließlich legte sie ihre Arbeit beiseite, ging ins Wohnzimmer und rief Lydia an.
    »Das stand doch in allen Zeitungen.« So lautete die Antwort auf Sannes Frage. In Lydias Stimme hatte schon immer ein Unterton von Ungeduld mitgeschwungen. Heute war er deutlich zu hören. Thorsten sollte eigentlich froh sein, dass sie ihn verlassen hat, dachte Sanne. Lydia mit ihrem Befehlston, ihrer Ungeduld und ihrer Fähigkeit, immer zu wissen, was andere zu tun hatten. Sie hatte die Beziehung dominiert. Thorsten war einfach viel zu nett für sie.
    »Eine ganz schreckliche Sache. Hast du das wirklich nicht gelesen? Auch im Fernsehen wurde darüber berichtet. Martina ist ertrunken. Besser gesagt …«, hier machte Lydia eine dramatische Pause, »jemand hat sie ertränkt.«
    Was!
    Sannes Beine fühlten sich auf einmal weich und nachgiebig an. Sie

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