Schuld währt ewig
beantragen, damit wir potenzielle Opfer ausfindig machen können.«
Russo blickte auf. »Wir können die Fieselarbeit in der Vorgangsverwaltung also einstellen?«
»Besser, ihr bleibt da dran. Ich bin mir nicht sicher. Beide Opfer waren zwar Mitglieder dieser Selbsthilfegruppe, aber beide waren das nur sehr kurze Zeit. Wir sollten nichts übersehen. Wenn wir Pech haben, hat das nichts zu bedeuten.«
Dühnfort bemerkte, wie Alois auf den Kugelschreiber starrte, dessen Enden er mit beiden Händen umspannte, als wollte er ihn jeden Augenblick durchbrechen.
»Gibt es noch etwas? Wenn nicht, dann machen wir uns jetzt an die Arbeit.« Dühnfort beendete das Meeting. Stühle wurden gerückt, Füße scharrten.
Im Flur holte Alois ihn ein. »Kann ich dich kurz sprechen?«
»Natürlich. Was gibt es?«
»Den Beschluss für die Mitgliederliste dieser Gruppe … Du brauchst ihn nicht zu beantragen.«
»Weshalb?«
Aus der Sakkotasche zog Alois einen zweimal gefalteten Bogen Papier und reichte ihn Dühnfort. »Deswegen war ich heute zu spät. Ich habe ihn schon.«
Wie bitte?
Bleib ruhig, befahl Dühnfort sich. Alois hielt seinem Blick stand. Gina und Sandra gingen vorbei. Russo unterhielt sich mit Stahl einige Meter entfernt. »Wie bist du auf die Gruppe gekommen?«
»Lenas Mutter kennt sie.«
»Du hast mit Lydia van Gierten gesprochen?«
»Eine Zimtzicke. Unkooperativ. Deshalb habe ich gestern Abend den Beschluss beantragt.«
Der Druck in Dühnforts Hals stieg. Er wies hinter sich auf den Besprechungsraum. »Mir fällt nur ein Grund ein, warum du das beim Meeting verschwiegen hast.« Seine Kiefermuskeln mahlten. »Wir arbeiten als Team. Wenn du denkst, dass du als Einzelkämpfer besser bist als wir alle zusammen, dann geh zur GSG 9 oder zu den KSK -Einsatzkräften. Dann bist du hier fehl am Platz.«
Alois löste den Blick, ließ ihn zur Wand gleiten. »Okay. Das war nicht korrekt. Ich gebe es zu. Und nun ist es gut.«
»Wenn du dich für eine Führungsposition qualifizieren willst, dann halte dich an die Regeln. Noch so ein Alleingang, und du fliegst aus meinem Team. So, und jetzt bringst du das zu Ende.« Dühnfort reichte ihm den Beschluss.
In Alois’ Gesicht ging eine Veränderung vor sich. Für einen Moment erschien ein gehässiger Zug darin. »Ach ja, an die Regeln halten. Gilt das nicht für alle? Auch für dich?« Auf dem Absatz machte er kehrt und ging den Flur hinunter.
Dühnfort unterdrückte den Impuls, ihm die Frage nachzurufen, was diese Anspielung bedeuten sollte. Er hatte eine Vermutung, was Alois meinte. Merde!
42
Bis Mittag legte Alois die Mitgliederliste der Selbsthilfegruppe vor. Jens Flade, Martina Oberdieck und vierzehn weitere Namen befanden sich darauf. Zu allen wurde Kontakt aufgenommen. Jeder wurde befragt. Am späten Nachmittag wussten sie, dass niemand eine Postkarte oder eine Drohung in anderer Form erhalten hatte.
Dühnfort starrte auf den überlebensgroßen Latinlover im Traueranzug auf dem Baugerüst jenseits seines Bürofensters und bekam Lust auf einen Espresso. Auf einen richtigen.
War ihre Theorie falsch? Suchte der Täter seine Opfer nicht in dieser Gruppe? War es Zufall, dass Flade und Martina ihr angehört hatten? Doch beide waren nicht lange dabei gewesen. Eine weitere Gemeinsamkeit. War dies für den Täter das entscheidende Kriterium? Jemand, der nicht bestraft worden war und es obendrein ablehnte, seine Verstrickung in den Tod eines anderen therapeutisch zu bewältigen?
Dühnfort zog die elektronische Ermittlungsakte zu Rate. Auf der Liste war neben den Namen das Eintrittsdatum vermerkt und im Falle eines Austritts auch dieser Zeitpunkt. Außer Jens und Martina war niemand nur kurzfristig dabei gewesen. Dühnfort schloss die Datei und stand auf, um sich endlich den Espresso zu machen. Von der Schokolade war nur die Verpackung übriggeblieben. Er warf sie in den Papierkorb. Zeit, für Nachschub zu sorgen.
Möglicherweise war es damit erledigt. Keine Serie. Zwei Morde und Ende. Doch Erleichterung wollte sich bei diesem Gedanken nicht einstellen. Die Angst, der Täter würde erneut zuschlagen, lauerte im Hintergrund.
Auch die Personalliste von Subvento lag inzwischen vor. Hoffentlich vollständig von Dr. Stefan Neumeier rekonstruiert. Ein Team arbeitete sie ab. Jeder Mitarbeiter und auch alle Exmitarbeiter wurden befragt. Wer war bei dem Unfall von Martina Oberdieck und Steffi Schünemann im Einsatz gewesen?
Dühnfort rief Steffis Eltern an. Sie erinnerten sich
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