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Schuld währt ewig

Schuld währt ewig

Titel: Schuld währt ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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davonzulaufen. »Du musst das endlich zulassen und die Konsequenzen tragen. Erst dann wirst du dein Leben wieder auf die Reihe kriegen.«
    »Was denn? Was habe ich dir denn erzählt?« Angst stieg in ihr auf. Ihre Stimme schien ihr nicht zu gehören. Sie klang fremd und schrill.
    »Ludwig war den ganzen Abend schon sehr aufgedreht gewesen, ein richtiger kleiner Schachtelteufel. Immer wenn du dachtest, er würde endlich liegen bleiben und schlafen, ist er wieder aufgesprungen, wollte spielen oder noch eine Geschichte vorgelesen bekommen, sogar noch einmal Zähne putzen. Es ging schon anderthalb Stunden so. Du warst am Ende deiner Kräfte und am Ende deiner Nerven.«
    Seine Stimme schien sich von ihm zu lösen. Worte zogen durch den Raum, wurden von Musik getragen, drangen in ihr Bewusstsein.
    Ludwig stand auf dem Hochbett. Er sprang auf der Matratze, wie auf einem Trampolin. Du bist keine Befehlerin! Du bist keine Befehlerin! Du bist keine Befehlerin! Hochrot der Kopf. Schweißperlen auf der Stirn. Der Pirat auf seinem Schlafanzugshirt grinste. Sie griff nach seinem Bein. Er plumpste in die Kissen. Noch mal! Noch mal! Noch mal! Sie deckte ihn zu. Doch er sprang wieder auf. Noch mal! Noch mal! Noch mal! Wieder zog sie ihn am Knöchel. Er stürzte … nicht in die Kissen … aus dem Bett. Ein grauenhaftes Geräusch. Verrenkte Glieder. Ein fadendünnes Rinnsal Blut. Sie lief aus dem Zimmer. Ihre Hand auf der Türklinke.
    »So hast du es mir erzählt, Sanne.«
    »Nein!« Ihr war übel. Ihr Magen drehte sich um, sie sprang auf, schaffte es bis ins Gästeklo. Dort würgte sie den Inhalt ihres Magens ins Waschbecken. Kalter Schweiß setzte sich auf ihre Stirn.
    Thorsten trat hinter sie, hielt sie, reichte ihr ein Glas Wasser zum Mundausspülen und nahm sie in die Arme. Sie war nassgeschwitzt und fror. »Nein. Das habe ich nicht gesagt. Ich kann mich nicht erinnern«, wimmerte sie.
    »Doch, Sanne. Das hast du mir so erzählt. Wort für Wort.«

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    »Doch, Sanne. So hast du es mir erzählt. Wort für Wort. Ich erinnere mich sehr genau an diese Nacht. Kein Wunder, oder?«
    Frierend saß sie neben ihm am Küchentisch und presste die Zähne aufeinander, damit sie nicht klapperten. Wieder griff Thorsten nach ihrer Hand. Sie war warm und hielt ihre fest, als hätte er Angst, sie würde davonlaufen. Doch der Fluchtimpuls war erloschen. Sie fühlte sich wie betäubt und konnte keinen Gedanken fassen. Nicht, weil Tausende durch ihren Schädel gejagt wären. Daran lag es nicht. Ganz im Gegenteil. Etwas in ihr hatte das Denken eingestellt. Mühsam brachte sie einen Widerspruch hervor. Sie konnte sich nicht erinnern.
    »Doch, Sanne. Du kannst, wenn du willst. Damals vor zwei Jahren hast du es auch gekonnt. Du hast die Ereignisse jenes Abends sehr präzise geschildert, und vor allem sehr logisch.«
    Thorsten erzählte ihr die ganze Geschichte noch einmal. Wie sie gekocht hatten, wie die Schüssel mit Panna cotta auf den Boden fiel, wie sie Wein im Garten tranken, wie der Jasmin duftete, wie sie ins Haus gingen, als es kühler wurde. Wie sie begann, ihm vom Unglücksabend zu erzählen, und ihm die Wahrheit anvertraute. Ludwig war den ganzen Abend schon sehr aufgedreht gewesen, ein richtiger kleiner Schachtelteufel. Immer wenn du dachtest, jetzt würde er liegen bleiben und schlafen, ist er wieder aufgestanden.
    Ihr fehlte die Kraft, sich gegen diese Worte zu wehren, die in sie drangen wie Gift. Noch immer weigerte sich ihr Hirn zu denken, entgegnende Worte zu produzieren. Sie fühlte sich so unendlich müde.
    »Schlaf eine Nacht darüber. Morgen solltest du überlegen, ob du nicht endlich Ludwigs Eltern die Wahrheit sagst und zur Polizei gehst. Mach reinen Tisch und trage die Konsequenzen.«
    Sie war so müde! Thorsten brachte sie nach oben. Ins Gästezimmer. Einen leeren Raum. Eine Matratze lag auf dem Boden. Das Bettzeug war frisch bezogen. Er hatte also von Anfang an damit gerechnet, dass sie über Nacht bleiben würde.
    Wie betäubt zog sie ihre Sachen aus, warf sie achtlos auf den Boden und schlüpfte unter die Decke. Schlafen. Schlafen und nichts denken. Nie wieder aufwachen.
    Er löschte das Licht und wünschte ihr eine gute Nacht. Wie konnte er nur?
    Obwohl sie glaubte, kein Auge zutun zu können, fiel sie in einen unruhigen Halbschlaf. Bildfetzen. Der grinsende Pirat. Angebrannte Tomatensoße. Schweißperlen auf Ludwigs Stirn. Noch mal! Noch mal! Noch mal! Fliegende Locken. Scherben auf dem Küchenboden. Ihre Hand an Ludwigs

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