Schuld währt ewig
Knöchel. Keuchend schreckte sie hoch. Wieder war sie nassgeschwitzt. Zitternd setzte sie sich auf und starrte in die Dunkelheit. Wie rasend schlug ihr Herz gegen die Rippen. Ihre Hand an Ludwigs Knöchel. Sie zog daran. Er stürzte.
Nicht ins Bett!
Nicht ins Bett! Was hatte sie nur getan!
Sanne sprang auf. Irgendwie gelang es ihr, in Jeans und Pulli zu schlüpfen.
Ihre Hand an Ludwigs Knöchel!
Noch mal!
Von der Garderobe riss sie Jacke und Tasche, suchte fieberhaft nach dem Autoschlüssel.
Röhrend schoss der Porsche vom Vorplatz.
Leere Straßen. Dunkle Häuser. Schwarze Nacht.
Die Autobahn. Ein paar einsame Trucks. Die Tachonadel zitterte. Lichter wischten vorbei.
Ihre Hand an Ludwigs Knöchel! Noch mal!
Die Fanfare eines LKW . Links vorbei.
Ihre Hand an Ludwigs Knöchel!
Grauer Beton einer Autobahnbrücke. Lichter einer Raststätte. Bremslichter. Ausweichen. Grauer Beton einer Autobahnbrücke.
Grauer Beton.
Eine Wand wie aus Stahl.
Die Tachonadel bei 195.
Eine Sekunde. Nur eine Sekunde. Wenn überhaupt. Eine Zehntelsekunde. Und …
Blaulichter hinter ihr!
Ein BMW zog mit zuckenden Lichtern vorbei. Leuchtschrift auf dem Dach. Bitte folgen.
Adrenalin schoss durch Sannes Körper. Vibrierender Puls in der Halsschlagader. Arschlöcher! Sie trat das Gaspedal durch, ließ das Polizeifahrzeug hinter sich.
Es verschwand.
Tauchte wieder auf.
Trotzdem! Ihren Porsche schafften die nicht. Er schoss über den Asphalt, lag auf der Straße wie auf Schienen. Das Gaspedal bis zum Bodenblech durchgedrückt. Der Auspuff röhrte, der Motor brüllte. Die Blaulichter blieben zurück.
Eine langgezogene Kurve. Vorbei an einem Truck. Eine Steigung.
Blaulichter vor ihr.
Dutzende!
Scheiße! Straßensperre!
Stoppen? Gas geben?
Schluss! Es war genug!
Sanne trat auf die Bremse, schoss auf die querstehenden Streifenwagen zu. Zu schnell.
Pumpen!
Sie ließ die Bremse los und trat sie sofort wieder durch.
Das schaffte sie nicht!
Eine Lücke zwischen Mittelleitplanke und Einsatzfahrzeugen.
Zu knapp! Schleuderwende!
Sie zog die Handbremse. Der Porsche drehte. Die Reifen quietschten.
Ein Schlag.
Das Heck krachte in die Leitplanke. Ihr Körper schleuderte nach vorne. Der Gurt straffte sich, hielt sie fest. Der Wagen stand.
Quer zur Fahrbahn. Die Scheinwerfer leuchteten in den Wald.
Nach einer gefühlten Ewigkeit näherte sich ein Polizist. Hand an der Waffe. Er öffnete die Tür, sah sie überrascht an und schüttelte den Kopf. »Mädla, Mädla. Des war aweng z’schnell.«
49
Der Morgen hing wie ein grauer Lappen über der Stadt. Die Türme der Frauenkirche hüllten sich in Nebel, als hätten sie etwas zu verbergen. Regen fiel in feinen Tröpfchen, wie zerstäubt.
Der Spurenbericht im Fall Hasler lag vor. Dieselben schwarzen Fasern wie im Fall Oberdieck. Außerdem ein Fingerabdruck an der Medikamentenpackung, den Buchholz bereits durch die Datenbank gejagt hatte. Kein Treffer. Der Täter war also bisher polizeilich nicht in Erscheinung getreten. Verschiedene DNA -Spuren am Tatort, die noch ausgewertet wurden.
Dühnfort rief Alexander Boos an, dem die Abteilung Operative Fallanalyse beim LKA unterstellt war. Er erreichte ihn auf dem Handy und, wie sich herausstellte, in Nürnberg, wo Boos mit einem Team die Ermittlungen in einer Mordserie unter Teenagern unterstützte. Dühnfort umriss die Fälle in München. Doch Boos war unabkömmlich. Er sagte zu, Julian Heinen zu informieren, der ihn in München vertrat.
Kurz vor zehn erschien Heinen in Dühnforts Büro. Anfang dreißig. Tweedanzug mit Lederflecken an den Ärmeln. Dunkles Haar. Groß und schlank. Kräftiger Händedruck. Ein in sich gekehrter Mann, der Dühnfort aufmerksam zuhörte, als der die Fälle darlegte, sich Notizen machte und ab und an eine Frage stellte. Kein Mann der großen Worte. Irgendwann fiel Dühnfort ein nervöser Tick an Heinen auf. In regelmäßigen Abständen wischte er mit dem kleinen Finger nicht vorhandene Krümel von der Oberlippe.
Dühnfort bot Heinen einen Espresso an, den dieser freundlich ablehnte. Zu basisch. Was auch immer das sein mochte, Dühnfort bereitete für sich eine Tasse zu und zeigte Heinen Fotos der Tatorte. Die Wohnung Hasler war der einzige, den Heinen sich selbst ansehen konnte. Dühnfort verschob das Brainstorming mit dem Team auf den Nachmittag und fuhr mit ihm in die Aidenbachstraße.
Schweigend schritt Heinen durch die Räume, verharrte ziemlich lange im Schlafzimmer, machte sich Notizen und ging
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