Schuld währt ewig
»Die Farbe steht dir gut.«
»Ich habe einen Tisch bei Pietro für uns reserviert.«
Das war ihr Lieblingsitaliener, und bei dessen Erwähnung bemerkte Sanne, wie hungrig sie war. »Wunderbar.«
Er lächelte. »Können wir mit deinem Wagen fahren? Meiner ist noch immer in der Werkstatt. Jetzt spinnt die Hydraulik.«
Zu Pietro war es nicht weit. Sanne fand direkt vor dem Lokal einen Parkplatz.
Der Abend verging wie im Flug. Gutes Essen. Ein Glas Wein. Sie stießen auf Thorstens Beförderung an, und Sanne wunderte sich, dass er alleine mit ihr feierte. Warum nicht auch mit Stefan und Uli, mit Franz und Andreas aus dem KIT und seinen Kollegen? Nach dem Dessert fragte der Kellner, ob noch Kaffee gewünscht wurde.
»Den Kaffee nehmen wir bei mir, oder?« Abwartend sah Thorsten Sanne an.
Hoffentlich kein Versuch, die Grenzen der Freundschaft erneut in Frage zu stellen. Bei dieser Überlegung zuckte sie innerlich zusammen. Langsam wurde sie paranoid. Es sollte doch kein Problem sein, bei Thorsten eine Tasse Kaffee zu trinken und den Abend bei einem weiteren Glas Wein ausklingen zu lassen. So, wie sie das schon oft gemacht hatten. »Gerne.«
Thorsten zahlte. Sie brachen auf, und eine Viertelstunde später saß Sanne mit angezogenen Beinen auf dem ausladenden Sofa in Thorstens Wohnzimmer. Aus der Küche drang Geschirrklappern und Kaffeeduft. Eine Ikea-Lampe mit Papierschirm war die einzige Lichtquelle und spendete ein gemütliches Zwielicht.
Thorsten kam mit dem Tablett herein und schaltete im Vorübergehen die Musikanlage an. Loungemusik, die Sanne vollends entspannen ließ. Endlich wieder mal, nach langer, langer Zeit, ein schöner Abend.
Er reichte ihr eine Tasse und nahm neben ihr Platz. Der Kaffee war genau so, wie sie ihn mochte. Wenig Kaffee, viel heiße Milch und noch mehr Schaum. Gemeinsam tranken und schwiegen sie und hingen ihren Gedanken nach. Das war nicht ungewöhnlich. Thorsten war kein Vielredner. Mit ihm hatte sie schon immer gut schweigen können.
Ihre Gedanken wanderten und gelangten überraschend schnell wieder beim Highlander an, der aussah wie ein harter Kerl, und dennoch vermutete Sanne unter dieser Oberfläche einen verletzlichen Mann. Wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass er ihr irgendwie gefiel. Diese ruhige, bestimmte Art. Seine Besonnenheit und Unaufgeregtheit. Einer, der sich nicht verstellte. Domegall war mit sich im Reinen, und das strahlte er mit jeder Faser seines Körpers aus. Doch ein Geheimnis umgab ihn. Seine Worte über das Schicksal. Sie waren nicht von ungefähr gekommen.
Nachdem die Tassen geleert waren, verschwand Thorsten in der Küche und kehrte mit zwei Weingläsern zurück. Schwer und ölig schwappte ein Roter darin. Sie stießen an. Ein voller, weicher Geschmack, ein wenig Johannisbeere und Lakritz. Sehr lecker und sehr süffig. Wenn sie den trank, würde sie nicht mehr Auto fahren können.
»Du kannst im Gästezimmer schlafen«, sagte Thorsten, als habe er ihre Gedanken gelesen.
Das hatte sie lange nicht mehr getan. Das letzte Mal vor zwei Jahren, als sie ebenfalls hier versackt war. Alleine mit Thorsten, da Lydia auf einer Fortbildung gewesen war. Auch damals hatten sie Rotwein getrunken und im Laufe der Nacht zwei Flaschen geköpft, oder waren es gar drei gewesen?
Herr Kater hatte Futter in seinem Napf, und auch das Wasserschälchen war gefüllt. Die Tür zum Vorratsraum stand offen. Dort befand sich neuerdings ein Katzenklo für ihn. Bis morgen früh kam er ohne sie klar. Also entschied sie zu bleiben.
Sie unterhielten sich im Halbdunkel, das es leichter machte, die Worte löste, und tranken dabei diesen leckeren Rotwein. Musik schwebte durch den Raum. Thorsten vertraute ihr an, dass er eine neue Kollegin mehr als nur attraktiv fand, und darüber war Sanne froh, denn damit war der ursprüngliche Zustand einer Freundschaft ohne die Erwartung einer Beziehung wieder hergestellt. Sollte sie ihm vom Highlander erzählen?
Auch wenn sie selbst noch nicht wusste, was sie sich erhoffte, es tat gut, über ihn zu sprechen, über seine ruhige, selbstbewusste Art, dass er Tai-Chi machte oder so etwas Ähnliches, dass sein Hund Hamlet hieß und irgendein Geheimnis ihn umgab. Thorsten hörte ihr zu, ohne sie zu unterbrechen, schenkte Wein nach, sein Gesicht lag im Schatten. Sanne konnte nicht erkennen, wie er auf ihre Worte reagierte. Doch schließlich riet er ihr, sich endlich wieder auf eine Beziehung einzulassen. »Du bist schon zu lange
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