Schuld war nur die Badewanne
gehen, konkurrieren die Gondolieri lediglich durch die Ausstattung ihrer schwimmenden Wohnzimmer. Da gibt es mit Brokat überzogene Sitze oder sogar seidene Polster, schon leicht zerschlissen, doch immer noch prächtig anzusehen. Andere wieder dekorieren die Bänke mit von Gattin oder Mamma reich Besticktem, auf dem der gelbe Mond hinter dem Campanile versinkt und sich vorne eine Gondel auf den Wellen wiegt. Was allerdings in keiner fehlen darf, ist die angeschraubte Blumenvase aus Porzellan. In den fünfziger Jahren klebte in fast jedem bundesdeutschen Auto auch so ein Ding, gleich links neben dem Handschuhfach, aber irgendwann kamen sie aus der Mode. Die nicht mehr verkäuflichen wurden mit Plastikblümchen gefüllt und dann nach Venedig exportiert!
Ob wir gerne Musik hören würden, wollte unser Fährmann wissen, dabei auf ein kleines Transistorradio deutend. Singen könne er auch, nur würde das extra kosten. Wir verzichteten auf musikalische Untermalung, machten es uns auf dunkelrotem Samt bequem und warteten auf den ersten Zusammenstoß. So eine Gondel ist nämlich ganz schön lang und in Kurven reichlich sperrig. Weshalb der Gondoliere immer hinten steht, weiß ich nicht. Ich finde das auch gar nicht gut, man fühlt sich ständig beobachtet. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass vor allem Liebespärchen daran Anstoß nehmen.
Anfangs habe ich die Brücken noch gezählt, unter denen wir durchgefahren sind, manchmal mit reflexartig eingezogenem Kopf, weil sie so niedrig sind, doch nach der sechsundzwanzigsten habe ich es aufgegeben. Wir glitten durch Kanäle, kaum breiter als Bettlaken, und erst dort sieht man das ganze Ausmaß der Zerstörung: Häuser, deren Untergeschosse schon halb verfault sind, Palazzi, trotz ihres frischen Anstrichs dem unaufhaltsamen Verfall preisgegeben, plötzlich zwischen all dem Moder ein zauberhafter kleiner Garten, dann die nächste Brücke und dahinter die nächste Ruine. Was muss Venedig für eine wunderschöne Stadt gewesen sein – damals, als es noch keine Industrie gegeben hat, keine Motorboote und keine Touristenscharen, denen die ohnehin sehr mangelhafte Kanalisation nicht mehr gewachsen war. Die meisten Kanäle sind zu Kloaken verkommen und stinken ganz erbärmlich. Und trotzdem wohnen in den anliegenden Häusern Menschen, sitzen auf den kleinen, wie Schwalbennester an die Wand geklebten Balkonen, aus den offenen Fenstern klingt Musik … doch über allem liegt der Geruch von Fäulnis und Verwesung. Eine sterbende Stadt, und doch so voller Leben.
»Guck mal, da drüben hat Guussie logiert.« Irene zeigte auf ein unscheinbares Haus, an dem eine Bronzetafel auf den früheren Bewohner hinweist. Den Namen konnte ich allerdings nicht mehr entziffern, aber wir waren schon an Marco Polos ehemaligem Domizil vorbeigekommen, hatten gesehen, wo Tizian gelebt haben soll und Bellini – immerhin bekannte Namen –, doch wer, um alles in der Welt, ist Guussie gewesen?
»Du kennst Guussie nicht?«, staunte Irene. »Hast du etwa auch noch nie was von Skeiler gehört?«
»Nein, zum Kuckuck noch eins! Muss ich denn jeden Hansl kennen, der mal seinen Fuß in diese Stadt gesetzt hat? Ich bin doch kein wandelndes ›Who is Who‹!«
»Guussie und Skeiler kennt jeder!« Richtig vorwurfsvoll klang Irenes Stimme, als hätte sie mich bei einer unentschuldbaren Bildungslücke ertappt. »Sogar die Amerikaner! Erst vorigen Sommer habe ich zwei typische Vertreter der Gattung ›Europe in thirty-three days‹ erlebt. Kurze Hosen, Turnschuhe, breite Hüte, Sonnenbrillen, in einer Hand die Kamera, in der anderen einen Reiseführer, so standen sie in Weimar vor dem Theater und beguckten sich das Denkmal. ›Which one is Guussie, dear?‹ – ›The older man, honey. The other guy is Skeiler.‹ – ›Oh, really? They are father and son, aren’t they?‹«
Ich prustete los. »Jetzt würde ich noch ganz gern wissen, wie unsere zwei Geistesheroen auf Italienisch heißen.«
»Schil-ler e Goethe«, sagte der Gondoliere, und dann fing er ganz freiwillig an zu singen: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten …«
Heine kannte er also auch.
Unsere Fahrt näherte sich dem Ende, denn wir erreichten wieder belebtere Gegenden, wo sich die Gondeln gegenseitig in die Quere kamen. Die Sänger auch. Doch statt
O sole mio
oder
Funicoli Funicula
hörten wir, je nach Nationalität der Fahrgäste, Kostproben ausländischen Liedguts. Der
Yankee-Doodle
war genauso vertreten wie
The Last Rose Of
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