Schuld war nur die Badewanne
»Gehen wir noch was essen?«
»Ja, aber nur eine Kleinigkeit. Wenn ich mir um diese Tageszeit noch ein komplettes Menü reinziehe, kriege ich morgen den Reißverschluss nicht mehr zu!«
»Dann essen wir eben nur einen Salat.«
»Und zum Salat ein Baguette und danach vielleicht doch noch ein ganz kleines Muschelragout, dazu natürlich einen Rosé, und hinterher …«
»Hör auf, ich gebe mich ja geschlagen!«, sagte sie lachend. »In der Parallelstraße habe ich einen Schnellimbiss gesehen, da holen wir uns irgendeinen Snack.«
»Nicht irgendeinen, sondern einen ganz bestimmten!« Wir steuerten eine der Gassen an, von der wir annahmen, dass sie die richtige ist. »Seit fast einer Woche sind wir jetzt in Italien und haben noch nicht einmal Pizza gegessen!«
»Warum auch?«, konterte sie sofort. »Die besten Pizzabäcker sind doch inzwischen alle in Deutschland.«
Ob Scampi dick machen, weiß ich nicht, auf jeden Fall machen sie satt; meine Pizza habe ich nicht mal zur Hälfte geschafft, doch aus welchem Meer die
Frutti di mare
stammten, hätte ich sehr gerne erfahren. Sie bestanden nämlich nur aus Riesengarnelen.
Langsam schlenderten wir zurück zum Hotel. Es herrschte noch immer erstaunlich viel Betrieb, was nicht zuletzt der warmen Witterung zu verdanken war, also einen letzten (und viel zu teuren) Espresso in einem der Straßencafés, ein letzter Blick auf den malerisch angestrahlten Uhrenturm … die schönen, ungebundenen Tage waren vorbei, morgen um die Mittagszeit mussten wir wieder in Mailand sein. Und noch immer hatten wir diese verflixte Seufzerbrücke nicht gefunden! Auf unzähligen Postkarten hatten wir sie gesehen, in nachgemachter Bronze an den vielen Souvenirbuden belächelt, doch in natura war sie uns nicht untergekommen. Wir konnten doch nicht in Venedig gewesen sein, ohne einen Blick auf dieses touristische Muss geworfen zu haben! Immerhin war schon Casanova über diese Brücke gegangen, also würden wir natürlich auch mal …
»Sie
muss
hier irgendwo im Dreh sein!«, behauptete ich zum wiederholten Mal. »Ich weiß, dass sie vom Dogenpalast in das danebenliegende Gebäude führt, ich weiß bloß nicht, an welcher Stelle.«
»Na, auf jeden Fall dort, wo unten drunter Wasser ist«, folgerte Irene ganz richtig, »sonst hätte man ja keine Brücke gebraucht«.
»Vielleicht stehen wir gerade drauf und wissen es nicht.« Das war natürlich Unsinn, denn diese Brücke war viel zu breit und verband den Markusplatz mit dem Kai vor der großen Lagune. Ein nicht endender Menschenstrom schob sich tagsüber hier entlang, doch jetzt waren nur noch wenige Nachtschwärmer zu sehen.
Ich beugte mich über das Geländer und spuckte ins Wasser. Ein Stück weiter hinten spiegelte sich in der dunklen Brühe etwas Helles. Ich hob den Kopf und – »Ich glaub’s einfach nicht! Da isse ja!!!«
Unauffällig und nur wenige Meter lang klebt die Seufzerbrücke zwischen zwei dunklen Mauern. Nun wunderte es mich gar nicht, dass wir sie vorher nicht gesehen hatten. Der Blick dorthin war uns immer von fotografierenden Touristen, aufgebaut in Dreierreihen hintereinander, versperrt gewesen. Ein bisschen enttäuscht war ich schon, denn ich hatte mir dieses berühmte Bauwerk doch etwas monumentaler vorgestellt. Und drüberlaufen kam auch nicht in Frage. Dieses Brücklein mit seinem filigranen Mauerwerk ist vermutlich kurz nach Casanova gesperrt worden, sonst wäre es längst in den Kanal gefallen. Außerdem ist seinerzeit wohl niemand auf einen Spaziergang über die Brücke erpicht gewesen, denn sie soll ja direkt zu den berüchtigten Bleikammern geführt haben. Jetzt verbindet sie zwei museale Touristenziele, die man zu ebener Erde viel bequemer erreicht.
Befriedigt darüber, nun endlich auch diese Sehenswürdigkeit abhaken zu können, lud ich Irene zu einem Nachttrunk in die Hotelbar ein; mein Geburtstag dauerte ja noch genau zwanzig Minuten, danach würde ich wieder zwei Jahre brauchen, um mich an mein neues Alter zu gewöhnen. »Weißt du«, sagte ich nachdenklich zu meiner Freundin, »dass ich jetzt zu den Senioren gehöre, würde mich weniger stören, wenn man endlich mal Achtung vor mir bekäme, aber heutzutage ist doch eher das Gegenteil der Fall. Niemand hat ja mehr Respekt vor dem Alter.«
»Doch«, antwortete sie sofort, »sobald es in Flaschen abgefüllt ist.«
Am nächsten Morgen hielt Venedig noch eine ganz besondere Überraschung für uns bereit. Schon beim Betreten des direkt unter dem Dach
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