Schuld war nur die Badewanne
urlaubenden Nachbarn als Dank fürs Blümchengießen (man weiß hinterher immer genau, wo sie gewesen sind: Die Tasse mit dem Enzian drauf stammte aus Österreich, die mit den Hochhäusern aus New York, doch am schönsten war die aus Bangkok mit der goldenen Pagode vorne und der Tänzerin auf der Rückseite). Sven keuchte unter der dickbauchigen Bodenvase, die ich ihm in letzter Minute noch aufgehalst hatte. Vor Jahren hatte ich sie mal als Ersatz für die schlichte Porzellanvase gekauft, die Saschas sportlichen Ambitionen zum Opfer gefallen war. Wie er es damals geschafft hatte, den Fußball statt geradeaus ins angedeutete Tor halblinks durch die nur spaltbreit geöffnete Terrassentür zu schießen und dann auch noch genau die Vase zu treffen, ist uns allen und am meisten ihm selbst ein Rätsel gewesen.
Die neue Vase hatte mir so lange gut gefallen, bis ich sie zum ersten Mal benutzen wollte und feststellte, dass ich dazu mindestens fünfundzwanzig Liter Wasser brauchte. Das Einfüllen ging noch relativ einfach, immerhin reichte der Gartenschlauch bis ins Wohnzimmer, problematisch wurde es erst, als die Gladiolen verwelkt waren und das Wasser sehr intensiv roch. Detaillierte Schilderungen meiner vergeblichen Versuche, die Vase auf die Terrasse zu befördern, ohne dass der Inhalt vorher auskippte, erspare ich mir; es sei nur so viel gesagt, dass ich mich schließlich an den Chemieunterricht in der Schule erinnerte, als wir Flüssigkeiten von einem Gefäß in das andere mit Hilfe eines Schlauches leiten sollten, nur musste man sie dazu erst ansaugen, und das geht bei einem zwanzig Zentimeter langen Gummischlauch von Bleistiftstärke entschieden leichter als mit circa drei Meter solider Wertarbeit Marke »Goldschlange«. Endgültig ausgedient hatte die Vase allerdings erst, nachdem der Vater und seine zwei schon fast erwachsenen Söhne gemeinsam versucht hatten, dieses unhandliche, bis zum Rand mit Blumenwasser gefüllte Ungetüm zum Zwecke des Entleerens auf die Terrasse zu schleppen. Seit diesem Tag besitzen wir ja auch einen Nass-Staubsauger für Teppichböden.
Nun konnte die Vase endlich sinnvoll entsorgt werden, aber Sven war doch etwas enttäuscht, weil sie überhaupt keinen Krach machte, sondern nur mit einem dumpfen »Plopp« in drei Teile zerfiel. Auch die Keramikbecher gaben nicht viel her, Limoges wäre bestimmt viel melodiöser kaputtgegangen.
Von dem Brautpaar, das doch eigentlich die Scherben zusammenkehren müsste, war nichts zu sehen. Zwar lehnten an dem großen Container in der Ecke zwei Besen, nur schien vorläufig niemand die Absicht zu haben, sie auch zu benutzen. Hannes denkt ja immer ökonomisch: Wenn schon gearbeitet werden muss, dann sollte es sich auch lohnen.
Im Übrigen war der sonst so langweilige Parkplatz nicht wiederzuerkennen. Mit zwei quergestellten Lastwagen hatte man ihn zur Straße hin so abgeschottet, dass nur ein schmaler Durchgang freigeblieben war, und über dem baumelte mit ausgebreiteten Armen der lilagrüne Straßenfest-Schlumpf. Eine um seinen Bauch gewickelte Beerdigungsschärpe trug die Aufschrift:
Ich bin schuld!
So ganz stimmte das ja nicht, aber es wäre sicher zu umständlich gewesen, eine ganze Badewanne aufzuhängen!
Gleich neben dem Eingang stand Lissy hinter einem Tapeziertisch und begrüßte jeden Gast mit einem Glas Sekt. Den gemütlich aussehenden Herrn neben ihr kannte ich nicht. Wahrscheinlich gehörte er zum Partyservice, sofern er nicht Chef Otto selber war, denn im Entkorken von Sektflaschen schien er trainiert zu sein. Erst viel später erfuhr ich, dass er Winfried hieß, Lissys Ehemann war, im normalen Leben lieber Bier trinkt und beruflich was mit Autos zu tun hat.
»Na endlich! Wo bleibst du denn so lange? Ich dachte schon, du bist verlorengegangen!« Steffi zerrte mich am Arm hinter sich her. »Die anderen sind schon alle da. Sascha auch. Der hat sich einen Weihnachtsengel mitgebracht.«
»Was hat er?«
»Warte, bis du sie selber siehst! Nastassja heißt sie, und den Mund kriegt sie überhaupt nicht auf. Hannes behauptet allerdings, er habe sie schon mal reden hören.«
Unter bunten Sonnenschirmen waren kreuz und quer Tische aufgestellt, große und kleine, drumherum Stühle oder gleich ganze Bänke, Windlichter warteten auf die Dunkelheit, und wenn man nicht so genau hinguckte, konnte man die vielen blühenden Bäume durchaus für echt halten, auch wenn sie alle in Töpfen standen. Sven, mit der Botanik besser vertraut als die meisten
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