Schuld war nur die Badewanne
jetzt kriegen sie hier ja auch welche, Mousse au Chocolat … Und wir Trottel setzen uns drüben in dieses Sammelquartier und kauen trockne Würstchen. Warum hat uns denn kein Mensch was gesagt?«
»Hast du jemanden gefragt? – Na also. Da kommt übrigens unser Frühstück.«
Ein bisschen verblüfft war ich schon, als die Kellnerin zwei gefüllte Kaffeetassen vom Tablett lud, je eine Portionsdose Milch sowie zwei kleine Zuckerwürfel danebenlegte und zum Schluss zwei identische Teller hinstellte. Darauf lagen jeweils zwei Brötchen, eine Zehngrammpackung Butter, eine Miniportion eingeschweißte Marmelade, eine Scheibe rosa Wurst und ein Blättchen Scheiblettenkäse. Als Krönung obendrauf zwei Radieschen. »Guten Appetit«, wünschte sie uns, bevor sie in den hinteren Gemächern verschwand, aus denen sie während der nächsten zwanzig Minuten auch nicht mehr hervorkam.
Steffi inspizierte das Angebot auf ihrem Teller, schob ihn aber gleich wieder von sich. »Das kriege ich nicht runter.«
Nun sollte ich vielleicht erwähnen, dass wir eine ganz süße Familie sind; jedenfalls morgens und auch nur auf die Essgewohnheiten bezogen. Da müssen drei Sorten Konfitüre auf dem Tisch stehen, Honig, Schokocreme und Fruchtquark. Vorausgesetzt, es ist nicht wieder mal die gesundheitsbewusste Phase ausgebrochen. Dann gibt es keine Teller, sondern Schüsselchen, auf denen
Müsli
steht, in die jedoch jeder irgendwelches Knusperzeug kippt. Während der Mahlzeit hört es sich immer an wie bei Kaninchens. Aufschnitt wird nur hingestellt, wenn Besuch da ist, und der traut sich meistens nicht. Statt dessen greift er zum Marmeladenglas und schielt nur sehnsüchtig auf die Schinkenplatte, sobald er sich unbeobachtet glaubt.
»Iss wenigstens ein Marmeladenbrötchen!« Eine hungrige Stefanie kann verkehrsgefährdend sein. Statt auf die Straße guckt sie in die Schaufenster von Konditoreien, und Autohupen kann sie angeblich auch nicht hören, weil ihr Magen noch lauter knurrt.
»Ich hasse Pflaumenmus!« Sie schob ihre Packung herüber. »Tauschst du mit mir?«
Das ging nicht, ich hatte ebenfalls Pflaume. »Wir halten nachher beim ersten Bäckerladen.«
»Was nützt das, wenn ich jetzt Hunger habe«, erwiderte meine Tochter, lustlos Butter auf ihr Brötchen schmierend. »Die sind übrigens von gestern.«
In jedem anderen Hotel hätte ich nach dem Geschäftsführer oder zumindest nach dem Oberkellner verlangt, hier hielt ich den Mund. Besserwessi, Kotzbrocken, Kapitalistenschweine … Es gab und gibt immer noch eine ganze Menge wenig schmeichelhafte Bezeichnungen für westdeutsche Besucher. Auf die Zunge beißen musste ich mir allerdings, als ich um eine zweite Tasse Kaffee bat. »Die kostet eine Mark fünfzig extra«, sagte die Kellnerin mit einem verlegenen Lächeln.
»Wie bitte?«
»Es tut mir ja selber leid, dass ich Geld verlangen muss, doch so lautet die Anweisung.«
Ich legte zwei Mark auf den Tisch, bekam fünfzig Pfennig zurück und erst danach meinen Kaffee. Steffi griente bloß. »Kein Kommentar!«
Zehn Minuten später war die Welt für sie wieder in Ordnung. Sie saß an einem kleinen Marmortisch, trank heiße Schokolade und frühstückte ofenfrische Croissants. »Wieso haben wir das Café gestern nicht gesehen?«
Ich zeigte auf das Schild neben der Theke: Montags Ruhetag. »Nun beeil dich ein bisschen, sonst kommen wir zu spät zur Schule.«
In dem Briefumschlag, der mir gestern von Frau Bort ausgehändigt worden war, hatte tatsächlich ein völlig neuer Zeitplan gesteckt. Zwei Abendveranstaltungen waren gestrichen worden, stattdessen hatte man mir tagsüber einige Termine reingedrückt, unter anderem drei Schulen. Zwar hatte mich Frau Wagner gefragt, ob ich auch mal vor Jugendlichen lesen würde, doch dabei hatte ich mehr an Jugendgruppen gedacht und nicht an Schulklassen. Kritiker haben mich ja schon in alle möglichen Schubladen gesteckt, aber ich glaube nicht, dass mich einer von ihnen als Pflichtlektüre für den Deutschunterricht vorgeschlagen hätte.
Studienrat Werding nahm uns in Empfang. Der Herr Direktor sei in einer wichtigen Konferenz (das sind Direktoren meistens, wenn sie jemanden nicht sehen wollen), lasse mir jedoch die besten Grüße ausrichten. Treuherzig fügte er hinzu: »Es ist ohnedies meine Zehnte, in die wir gleich gehen werden.«
Na bravo! Genau die Altersstufe, die ich am meisten liebe – irgendwo zwischen sechzehn und null Bock. So sahen sie auch aus: gelangweilt, uninteressiert, zum
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