Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schuld war nur die Badewanne

Schuld war nur die Badewanne

Titel: Schuld war nur die Badewanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
Teil fast feindselig. Der Geräuschpegel bewegte sich in Disco-Lautstärke.
    »Jetzt setzt euch und haltet eure Klappe, damit wir unsere Gäste begrüßen können!«, brüllte der Herr Studienrat.
    »
Wir
ha’m se ja nich einjeladen!«, kam es aus einer Ecke zurück.
    »Robert, du fliegst gleich raus!«
    »Ick jeh ooch von alleene!« Der bezopfte Knabe griff nach seiner Mappe und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.
    »Hinsetzen!!!« Robert setzte sich wieder.
    Halbwüchsige kann man am besten ködern, wenn man ihnen die Schandtaten Gleichaltriger vorliest; vermutlich hoffen sie, noch etwas lernen zu können. Eingedenk dieser Erfahrung hatte ich den
Leitfaden zur Aufzucht und Pflege von Teenagern
herausgesucht, schon vor anderthalb Jahrzehnten in einem meiner Bücher aufgestellt und immer noch aktuell. Bisher war ich damit überall gut angekommen, doch hier merkte ich bereits nach den ersten Minuten, dass ich in ein riesengroßes Fettnäpfchen getreten war. Wie sollten denn die vor mir herumlümmelnden Jugendlichen meine Klagelieder über die bei uns ausgebrochene Telefonitis verstehen oder den Verzweiflungsakt eines begüterten Vaters, der seiner Tochter zum fünfzehnten Geburtstag einen eigenen Telefonanschluss hatte legen lassen? Es war doch sogar mir bekannt gewesen, dass man in der DDR jahrelang darauf warten musste. Während der Schilderung von Saschas Kellerfete kamen die ersten Zwischenrufe, doch am schlimmsten wurde es, als ich über die Auswüchse der Teenagermode zu räsonieren begann. Da hatte es sonst immer Beifall gegeben, hier war es flammende Empörung.
    »Erzählen Sie das mal meiner Mutter!«, unterbrach mich ein Mädchen. »Die ist nämlich froh gewesen, wenn wieder mal ein Paket von meiner Tante aus dem Westen kam mit abgelegten Klamotten meiner Kusinen.«
    »
Wir
hatten keine Jeans, in die man Löcher schneiden musste«, schrie eine andere, »die waren nach dem Waschen von selber da.«
    An ein Weiterlesen war nicht mehr zu denken. Mein hilfloser Blick wurde von dem Herrn Studienrat ignoriert, ihm schien die Situation sogar Spaß zu machen. Das konnte ich ihm nicht mal verdenken, ich hatte mich ja selbst in die Nesseln gesetzt. Wenigstens hatte die angriffslustige Meute inzwischen ein anderes Opfer gefunden. Zwei oder drei Schüler hatten Partei für mich ergriffen, versuchten zu vermitteln, wurden niedergebrüllt. Und ich thronte da oben hinter meinem Katheder (hier gab es wirklich noch dieses auf einem Podest stehende Relikt aus den Anfangszeiten der allgemeinen Schulpflicht), starrte auf den Sekundenzeiger meiner Uhr (noch dreieinhalb Minuten!) und verwünschte meine Gedankenlosigkeit. Hätte ich nicht eine weniger brisante Textstelle heraussuchen können, oder – andersherum – hätte ich mir nicht vorher überlegen müssen, welche Reaktionen ich eventuell auslösen würde? Ein Idiot war ich, ein ausgemachter Trottel …
    … Warum, zum Kuckuck, klingelte es nicht endlich? Die dreieinhalb Minuten müssten doch längst herum sein? Mehr durch Zufall entdeckte ich gleich neben der Tür einen Mann, der vorher noch nicht dagestanden hatte.
    Herr Lehmann selig, seinerzeit Portier bei uns in Berlin, hatte während der Arbeitszeit auch immer so einen grauen Kittel getragen. Sollte hier etwa ein pflichtvergessener Hausmeister …?
    »Ich will ja nicht drängen«, meldete ich mich zu Wort, »aber könnte es sein, dass wir das Läuten überhört haben? Nach meiner Uhr müsste die Stunde schon seit fünf Minuten vorbei sein.«
    Mit einem »Ach Jottchen, ach Jottchen« entfloh der Graubekittelte, und kurz darauf bimmelte es.
    Noch nie hatte eine Schulglocke in meinen Ohren so melodisch geklungen wie diesmal, ausgenommen vielleicht nach jener entscheidenden Mathearbeit, als ich beim Abschreiben nicht erwischt worden war und wusste, die nunmehr garantierte Zwei würde mich vor dem endgültigen Sitzenbleiben bewahren.
    Im Handumdrehen war die Klasse leer. Nur der Herr Studienrat saß noch auf seinem Stuhl und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Dann war ihm aber doch etwas eingefallen: »Hätte es sich bei der Lesung um einen Aufsatz gehandelt, dann würde ich jetzt drunterschreiben: Thema verfehlt.« Er grinste mich von unten herauf an, und dann endlich löste sich die Spannung. Ich fing an zu lachen, und die beiden anderen fielen nur zu gern ein.
    »Das ist ja wohl komplett in die Hose gegangen«, sagte Steffi, Buch und Tasche auf den Rücksitz werfend. »Soll ich an der nächsten Kneipe

Weitere Kostenlose Bücher