Schuld war nur die Badewanne
Da konnte doch etwas nicht stimmen! Diese Stadt mit dem einzigen Namen, der mir aus welchen Gründen auch immer noch aus meiner Kindheit bekannt war, würde doch erst nächste Woche an die Reihe kommen. Dazwischen sollte der Fahrerwechsel stattfinden, denn Nicki hatte sich extra die zweite Woche ausgesucht, weil wir dann schon weiter südlich sein würden und vielleicht einen Abstecher in den Spreewald machen könnten. »Ich hab neulich in der Glotze einen Bericht gesehen …, also das muss da ganz toll sein. Autos gibt’s nicht, die Leute fahren alle mit so komischen Kähnen rum, und die Landschaft ist auch noch richtig urwüchsig. Bist du da schon mal gewesen?«
»Vielleicht als Kind, doch daran kann ich mich nun wirklich nicht mehr erinnern.« Ich weiß zwar noch, dass mich Omi seinerzeit überallhin mitgeschleppt hatte und ich mindestens ein halbes Dutzend Mal auf den dicken Filzpantoffeln durch Schloss Sanssouci gerutscht war – ein Vergnügen, das diese grässlichen Besichtigungstouren wenigstens ein bisschen erträglicher gemacht hatte –, doch der Spreewald, so ich denn dort gewesen sein sollte, muss wohl keinen nachhaltigeren Eindruck bei mir hinterlassen haben. Trotzdem hatte ich Nicki einen Besuch dieser in Deutschland einmaligen Landschaft zugesichert.
»Du irrst dich, mein liebes Kind«, sagte ich mit der lässigen Überheblichkeit, die wir Frauen so gerne an den Tag legen, wenn wir uns absolut im Recht fühlen, »Eberswalde ist erst in der kommenden Woche dran. Du musst die Zettel vertauscht haben.«
»Ich habe überhaupt nichts vertauscht«, wehrte sie sich sofort, »es sind doch immer bloß zwei Blätter gewesen.«
Das allerdings stimmte. »Gib den ganzen Krempel mal her!« Es hatte sich schon eine Menge Papierkram angesammelt, den ich einfach in eine Plastikhülle gestopft hatte mit dem Vorsatz, ihn zu Hause auseinanderzusortieren. Meine Steuerberaterin hat mich nämlich schon recht gut im Griff. Früher hatte ich ihr Quittungen, Benzinrechnungen, Kontoauszüge und was sonst noch alles für das Finanzamt interessant sein könnte, auf den Schreibtisch gekippt und sie gebeten, sich das für sie Brauchbare selbst herauszusuchen. Anfangs hatte sie das sogar getan. Immerhin war ich ihre erste Klientin, die das später zu zahlende Honorar als Buchautorin verdiente, folglich in die Rubrik
Künstler
eingestuft wurde und eine gewisse Narrenfreiheit genoss. Das änderte sich allerdings sehr schnell, als wir uns nicht mehr nur über Gewinnermittlung und Vorsteuerabzug unterhielten, sondern auch über Teenagerliebe und daraus resultierende Versetzungsgefährdung. Frau Grießbach hatte zwei Söhne und alles das noch vor sich, was bereits seit etlichen Jahren hinter mir lag. Jedenfalls kam sie wohl im Laufe unserer Gespräche zu dem Schluss, dass ich trotz meines »Künstlerstatus« offenbar ein ganz normaler Mensch mit einer normalen Intelligenz bin, dem man gewisse Auflagen in Bezug auf Ordnung durchaus zumuten kann. Fortan verweigerte sie die Annahme meiner Schuhkarton-Buchhaltung, was zur Folge hatte, dass ich spätestens in der ersten Novemberwoche eines jeden Jahres auf dem Fußboden meines Zimmers inmitten eines Papierchaos sitze und versuche, zur Lesereise A die passenden Quittungen zu finden. Die sind natürlich nicht da, aber dafür entdecke ich zwei Hotelrechnungen, die ich mir nicht erklären kann, weil ich nicht mehr weiß, was ich im April auf der Schwäbischen Alb machte. Im Terminkalender steht auch nichts. Also lege ich die Rechnungen vorerst zur Seite, und wenn mir endlich eingefallen ist, dass ich ja in dieses kleine Kurstädtchen zu einem Kongress gefahren war, dann sind die Quittungen schon wieder in dem ganzen Papierwust verschwunden, und das Spiel geht von vorne los.
Es muss wohl Katja gewesen sein, auf deren Schreibtisches jahrelang so ähnlich ausgesehen hatte wie bei mir auf dem Fußboden, denn sie machte mich mit den Plastikhüllen bekannt. Die sind nur oben offen und haben an der Seite zwei Löcher, damit man sie abheften kann. Da sie erfreulicherweise auch durchsichtig sind, kann man schon von außen erkennen, was man mal reingesteckt hat. Man braucht sie also nicht mehr auszukippen. Trotzdem dauerte es noch eine ganze Weile, bis mich Katja von der Notwendigkeit überzeugt hatte, immer eine ausreichende Menge dieser Hüllen im Auto zu haben. Wenn ich mir nun auch noch angewöhnen könnte, für jede »dienstliche« Fahrt eine neue Hülle zu verwenden, wäre diese Methode des
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