Schuldig wer vergisst
er hatte sich bis zur Unkenntlichkeit verändert.
Oder aber Kirsty war plötzlich erblindet und hatte es ihr nur nicht erzählt.
Als Callie von ihren Nachmittagsbesuchen in der Gemeinde zurückkam, war die Wohnung leer: kein Peter, keine Bella. Demnach hatte er sich endlich aufgerafft und den Hund
ausgeführt, nahm sie dankbar an. Sie konnte die Zeit nutzen, um an ihrer nächsten Predigt zu arbeiten. Zuerst brauchte sie aber eine wärmende Tasse Tee – und zwar auf die altmodische Art zubereitet, auch wenn sie dabei einen schuldbewussten Blick auf die schimmernde neue Maschine warf. Sie nahm die Tasse mit in ihr Arbeitszimmer, während sie auf dem Weg dorthin den Heizkörper eine Stufe höher stellte.
Doch kaum hatte sie sich an den PC gesetzt und die Datei geöffnet, klingelte das Telefon.
»Callie?«, sagte ihre Mutter übellaunig.
Du lieber Gott, Mum. »Hallo, Mum«, erwiderte sie so froh und heiter, wie sie konnte, während sie schnell überlegte, wie lange es wohl her war, seit sie das letzte Mal mit ihrer Mutter gesprochen hatte. Sie und Peter hatten sie vergangenen Freitag besucht. Seitdem hatte sie nicht mehr bei ihr angerufen.
»Wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist«, sagte Laura Anson. »Weil ich nichts mehr von dir gehört habe.«
Schuld, Schuld, Schuld. Wie schaffte ihre Mutter das nur immer wieder?
»Oh, alles bestens.« Callie bemühte sich – wie so oft, wenn sie mit ihrer Mutter sprach – um einen übertrieben munteren Ton, eine Art Abwehrmechanismus, um nicht zu schuldbewusst zu klingen.
»Ich hab auch von Peter schon lange nichts mehr gehört«, fuhr ihre Mutter fort. »Und er geht auch nicht ans Telefon.«
»Hast du’s mal auf seinem Handy versucht?«, schlug Callie vor.
»Du weißt, ich hasse diese Dinger. Und die Anrufe sind so teuer. Hast du ihn mal gesprochen?«
Wenn das nicht eine Fangfrage war! »Zufällig wohnt er im Moment bei mir«, sagte Callie sachlich.
»Bei dir ?«
»Er hatte ein Problem mit der Wohnung und brauchte für ein paar Tage eine Bleibe.«
»Ach so«, sagte ihre Mutter und legte eine Fülle von möglichen Bedeutungen in diese zwei Silben.
Da Callie ihre Mutter nur allzu gut kannte, pickte sie sich eine der unausgesprochenen Fragen heraus, um sie zu beantworten. »Ich bin sicher, er wollte dich nicht belästigen. Er kommt und geht zu den seltsamsten Zeiten, weißt du. Das Leben eines Musikers eben …«
Ihre Mutter schnaubte laut und verächtlich. Peters Berufswahl war für sie ein ständiger Stein des Anstoßes; sie hätte sich gewünscht, er wäre seinem Vater in den öffentlichen Dienst gefolgt, und sie ließ keine Gelegenheit aus, ihrer Enttäuschung Ausdruck zu verleihen. In Bezug auf Peters Homosexualität folgte sie der umgekehrten Strategie und ignorierte sie konsequent. »Na ja, dann hoffe ich«, fuhr sie fort, »dass er nächste Woche abends mal vorbeikommt. Die Tochter meiner Freundin Ida ist gerade von der Uni nach Hause gekommen, und ich glaube, sie würde sehr gut zu Peter passen. Natürlich ist sie ein bisschen jung für ihn, aber sie studiert Medizin, steuert also eine gute, solide Karriere an. Wird höchste Zeit, dass sein Leben in geordnete Bahnen kommt.«
Callie hatte schon lange aufgegeben, sie darauf aufmerksam zu machen, wie dumm und vergeblich ihre Versuche waren, Peter mit passenden Mädchen zu verkuppeln. »Ich werde ihm sagen, er soll dich anrufen, ja?«, schlug sie vor.
»Dann ist er im Moment nicht da?«
»Nein. Er ist mit Bella raus.«
»Bella?«, fragte ihre Mutter in scharfem Ton.
»Meinem Hund«, stellte Callie richtig.
»Oh, ich hatte ganz vergessen, dass du einen Hund hast.«
Das erinnerte Callie daran, dass ihre Mutter sie noch nie in ihrer Wohnung besucht hatte; sie schien immer irgendeine
Ausrede zu haben. »Hör zu, Mum«, sagte sie spontan. »Hättest du nicht Lust, morgen mal vorbeizukommen? Das ist mein freier Tag, Peter ist hier, und ich könnte was zum Mittagessen machen. Du könntest Bella kennenlernen und sehen, wo ich wohne. Ich könnte dich sogar mal durch die Kirche führen.«
»O nein«, sagte ihre Mutter prompt. »Das ist nicht möglich. Morgen Nachmittag habe ich Bridge. Ein andermal.«
Wie du willst, dachte Callie, die ihre Worte schon in dem Moment bedauert hatte, als sie ihr herausgerutscht waren. Dann war sie – und mit ihr Peter – zumindest für morgen aus dem Schneider. Vielleicht konnte sie stattdessen ein paar Weihnachtseinkäufe machen: Die Festtage waren nicht mehr weit,
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