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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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dicht, dass sie sich nur tastend orientieren konnte. Sie fuhr mit den Fingern über den rauen Holzboden und dann an der Wand hoch, bis sie gegen die glatte Rundung von Willies Schulter stieß. Ehe sie zurückweichen konnte, hielt Willie ihre Hand fest. Er zog sie näher heran, bis sie in einer Wolke voreinander knieten. »Ja, du bist hübsch«, sagte Willie.
    Trixie wurde schwindelig. Sie hatte hässlich kurzes, schwarzes Haar und Narben auf beiden Armen, und es war, als nähme er das gar nicht wahr. Sie schaute nach unten auf ihre ineinander verschränkten Finger – ein Webmuster aus dunkler und blasser Haut –, und sie gab sich der Vorstellung hin, dass wirklich ein Licht in ihr sein könnte.
    Â»Als die ersten Weißen auf die Tundra kamen«, sagte Willie, »dachten die Leute hier, sie wären Geister.«
    Â»Manchmal denke ich auch, ich bin einer«, sagte Trixie leise.
    Sie beugten sich beide vor, vielleicht schob sie auch der Dampf näher zueinander. Und gerade als Trixie dachte, dass überhaupt keine Luft mehr im Raum war, legte sich Willies Mund auf ihren und atmete für sie.
    Willie schmeckte nach Rauch und Zucker. Seine Hände hielten sie an den Schultern und blieben respektvoll da, während sie sich danach sehnte, von ihm berührt zu werden. Als sie sich voneinander lösten, blickte Willie zu Boden. »Das hab ich noch nie gemacht«, gestand er, und Trixie wurde klar, dass er noch nie mit einem Mädchen zusammen gewesen war.
    Trixie hatte ihr Jungfräulichkeit in einem anderen Leben verloren, damals, als sie noch glaubte, es wäre ein Geschenk, das man jemandem wie Jason überreichte. Sie hatten zahllose Male miteinander geschlafen – auf der Rückbank seines Autos, bei ihm zu Hause, wenn seine Eltern nicht da waren, im Umkleideraum der Eishalle nach dem Training. Aber was sie mit ihm gehabt hatte, war überhaupt nicht mit dem Kuss zu vergleichen, den sie gerade mit Willie erlebt hatte. Es war unmöglich, das eine mit dem anderen in Beziehung zu setzen. Sie konnte nicht mal sagen, dass ihr eigener Anteil dabei der gemeinsame Nenner war, denn das Mädchen von damals hatte mit dem von heute nichts mehr zu tun.
    Trixie beugte sich wieder zu Willie vor, und diesmal küsste sie ihn . »Ich auch nicht«, sagte sie, und das war nicht gelogen.

    Daniel erinnerte sich, dass er elf Jahre alt war, als sich das erste und einzige Mal ein Zirkus auf die Tundra verirrte. Bethel war die letzte Station der einmaligen Tournee des Ford Brothers Circus durch die Wildnis Alaskas, und Cane und Daniel waren wild entschlossen, sich diese Gelegenheit nicht entgehen zu lassen. Sie nahmen alle möglichen Jobs an – strichen das Haus eines Ältesten, bauten ein neues Dach für das Dampfbad von Canes Onkel –, bis sie jeder fünfzehn Dollar zusammenhatten.
    Das halbe Dorf wollte hin. Aus dem gesamten Delta waren sechstausend Menschen herbeigeströmt. Manche waren schon kurz nach Mitternacht gekommen, um die große Frachtmaschine landen zu sehen, mit der die Artisten und Tiere eingeflogen wurden. Die Vorstellung sollte in der Sporthalle des National Guard Armory stattfinden. Cane und Daniel liefen ausgelassen durch das Gedränge und durften sogar ein Seil halten, als das Großzelt aufgestellt wurde.
    In der Vorstellung sahen sie abgerichtete Hunde in alten Tutus und zwei Löwen namens Lulu und Strawberry. Ein Leopard wartete vor dem Zelt auf seinen Auftritt und trank Wasser aus einer Schlammpfütze. Es gab Dampforgelmusik und Erdnüsse und Zuckerwatte und für die ganz Kleinen eine aufblasbare Hüpfburg und Shetlandponys, auf denen sie reiten konnten. Shorty Serra kam auf seinem riesigen Pferd Juneau donnernd in die Manege geritten und zeigte Lassotricks. Als das Schlachtross sich aufbäumte, überragte es alle, und die Zuschauer kreischten begeistert.
    Hinter Daniel und Cane saßen einige fremde Yupik-Jungs, die laut johlten. Als Daniel sich rüberbeugte, um etwas zu Cane zu sagen, zischte einer von ihnen hämisch: »Seht euch den an. Ich hab doch schon immer gesagt, dass kass’aqs in den Zirkus gehören.«
    Daniel drehte sich um. »Halt die Klappe.«
    Der Yupik-Junge blickte seine Freunde an: »Habt ihr was gehört?«
    Â»Willst du vielleicht lieber was spüren?«, drohte Daniel mit geballter Faust.
    Â»Reg dich ab«, sagte Cane. »Das sind doch Arschlöcher.«
    Der

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