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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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nicht ganz einsam. Es muss andere geben, die dieselben Erfahrungen gemacht haben wie ich, denkt Martin. Der Hass muss überall liegen und schwelen, kleine flackernde Flammen in abgelegenen Verstecken, die selten die Kraft haben aufzulodern und die sich allzu oft selbst ersticken. Gemeinsam ist ihnen, dass sie allzu viel erdulden, dass sie Schläge hinnehmen und gewohnt sind, Prügel einzustecken, und dass sie nichts anderes erwarten. Wie viele Beseitegestoßene ziehen sich lieber in ihr Inneres 2urück, als sich aufzumachen und nach Gleichgesinnten zu suchen!
    Natürlich weiß Martin, dass sich niemand um ihn kümmert, wenigstens niemand, den er kennengelernt hat. Wenn dem so ist, gibt es keinen Grund mehr weiterzuleben. Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden. Martin lädt den Revolver mit einer einzigen Kugel, und dann lässt er das Magazin sich drehen. Danach hebt er die Waffe und drückt ab.
    Klick!
    Nein. Nicht gegen sich selbst richtet er den Revolver, sondern gegen das Fenster. Aber erst jetzt begreift er, womit er es zu tun hat, welche Frage es ist, die er stellt. Er hat das Schicksal entscheiden lassen. Nicht sein eigenes Leben. Das stand nie auf dem Spiel. Wenn dagegen der Zufall den Schuss hätte losgehen lassen, hätte er dies als ein Zeichen genommen, dass all die anderen Recht haben. Er hätte zugegeben, dass er ohne Wert ist und deshalb kein Recht mehr auf einen Platz in der Wirklichkeit hat.
    Martin legt den Revolver in den Schuhkarton zurück und versteckt ihn sorgfältig im Putzschrank. Er ist guten Mutes, als stünde er vor einer Herausforderung. Dann geht er ins Badezimmer und mustert sich im Spiegel. Die Gesichtsverletzungen von der Schlägerei mit den Finnen sind schon längst verheilt. Das einzige Neue ist eine kleine Narbe unter dem rechten Auge. Das sieht stark aus. Das Gesicht hat einen härteren Zug bekommen. Obwohl er sich so lange versteckt gehalten und das Tageslicht gemieden hat, ist sein Gesicht weder weicher noch aufgedunsener geworden. Möglicherweise ist er blasser als früher. Morgen wird er zum Friseur gehen und sich die Haare schneiden lassen. Sie sind viel zu lang geworden. Er wird auch den Trainingsanzug heraussuchen und zu laufen beginnen. Seine Kondition ist nicht die allerbeste. Von heute an wird er ein neuer Mensch sein.
    Bevor Martin das Sakko anzieht, geht er zum Fenster und öffnet die Vorhänge. Während er in die Dämmerung hinausblickt, begreift er, dass etwas mit ihm geschehen ist. Das Hämmern im Kopf ist verschwunden und er weiß, dass es nicht wiederkommen wird. Vieles ist ihm noch unklar, aber er weiß, dass er nun ein Ziel hat, einen Grund weiterzuleben. Und er weiß auch, dass der Revolver das wichtigste Mittel ist, dieses Ziel zu erreichen. Martin begreift, dass er sich rächen muss. Er weiß noch nicht an wem, aber er weiß wofür. Er wird sich für alle Sticheleien und jedes überlegene, anzügliche, höhnisches Lächeln rächen. Er wird Vergeltung üben für all die Situationen, in denen er weggejagt oder abgespeist worden ist, behandelt wie ein Aussätziger in einem Land, in dem alle gleichberechtigt sind und denselben Wert haben, wo aber diejenigen, die nicht den tristen Normen entsprechen, beiseite gedrängt und als Abfall behandelt werden. Man hat ihn in ein Nichts verwandelt, in eine statistische Absonderlichkeit, mit der niemand rechnet und der man nicht die Hand geben kann, da es sich um keine Person handelt.
    Was alle begreifen müssten, aber niemand erkennen will: Der Ausgestoßene ist gezwungen, nichts und niemand anzuerkennen außer sich selbst. Er kämpft gegen die Selbstverachtung, die, wie er weiß, ihren Grund in der Feigheit hat. Um weiterleben zu können und schließlich nicht die Achtung vor sich selbst zu verlieren, muss Martin hassen, und wenn der Hass endlich zu schwelen und zu glimmen beginnt, muss er mit Liebe und menschlicher Nähe gelöscht werden, falls er nicht in vernichtenden Flammen emporschlagen soll.
     
    Der Wind kommt von Norden. Er beißt im Gesicht und drängt in den Halsausschnitt hinab, aber Martin will den Reißverschluss der Jacke nicht hochziehen. Er genießt die Kälte, und das Gesicht glüht.
    Martin ist auf dem Weg in die Kneipe. Dies ist die erste Herausforderung. Vielleicht weigert man sich, ihn zu bedienen. Vielleicht hat er Lokalverbot auf Lebenszeit. Martin lächelt. Das wäre eine Bestätigung, und er wäre nicht einmal böse. Im Gegenteil.
    Weiter unten auf der Straße trifft er den Polsterer aus

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