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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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bleibt er einige Augenblicke vor dem Spiegel stehen. Was er da sieht, verdrießt ihn immer noch. In diesem Gesicht ist nichts mehr von dem unerschrockenen Jäger vorhanden, aber auch nichts, was auf Angst oder Schuldgefühle hindeutet. Es ist das gleichgültige Gesicht einer völlig bedeutungslosen Person. Vielleicht beginnt er deshalb, sich Grimassen zu schneiden. Das ist eine Unsitte, die er sich zugelegt hat, die aber ein wenig hilft. Er ist weder eingesperrt, tot noch begraben. Die Entdeckung scheint ihn zu amüsieren, denn als er das Badezimmer verlässt, liegt ein bissiges schmales Lächeln auf seinen Lippen. Die Augen sind klarer und die Körperhaltung bedeutend straffer geworden. Es sieht so aus, als glaube er, beobachtet worden zu sein, und als wollte er einem unsichtbaren Beobachter beweisen, dass er noch nicht alle Widerstandskraft verloren hat. Er hat das auch früher so gemacht. Es ist eine Art Selbstbetrug, und obwohl er versucht, die Illusion möglichst lange am Leben zu erhalten, verblasst sie allzu schnell.
    Man kann die Gegenwart nicht verdrängen. Man kann auch keine Sondervereinbarung mit der Zeit treffen; man kann sie weder verkürzen noch verlängern. Die Frage ist, ob man sie überhaupt messen kann. Martin begreift nicht, welcher Nutzen damit verbunden sein soll.
     
    Seit dem Morgen nach dem Mord ist er wie betäubt umhergegangen. Martins Erinnerungen an den Mordabend sind am Anfang klar und deutlich. Er erinnert sich bis zu dem Moment, als er das Kino verlässt. Er sieht wieder die verachtungsvollen Augen des Mannes aus dem Iran und wie er beschämt auf dem Absatz kehrt macht und sich entfernt. Er erinnert sich auch, wie er den Revolver umklammert und wie dessen Stärke in seinen Körper und in seine Seele eingeht. In diesem Augenblick ist ihm bewusst, dass er nun endlich vor dem Unwiderruflichen steht.
    Danach ist alles ein dicker Nebel, ein blutrot flammender Dunst, den er nicht durchdringen will und den er auch nicht durchdringen kann. Martin sieht und sieht auch nicht. Wie im Film kann er einen Mann wahrnehmen, der eine lange gefrorene Erwartung trägt und der, wie er begreift, er selbst sein muss, den er aber trotzdem nicht erkennt. Er kann auch sehen, wie dieser Mann einige Schritte auf die Straße hinaus macht und schießt, wie ein Roboter kalt und gefühllos.
    Martin begreift, und begreift auch nicht, warum der Schuss abgefeuert werden musste. Es gab da niemanden, nicht einmal ihn selbst, der dies verhindern konnte. Es war vorausbestimmt, sagt er zu sich selbst, ohne irgendeine Reue zu fühlen. Sein ganzes Leben hat aus einer langen, verachtenswerten Reise bestanden, die er nie freiwillig unternahm und die meistens in Dunkelheit verlief. Dennoch hat er immer gewusst, dass es eine Endstation gab, wo er aussteigen würde, nachdem er für alle Kränkungen Rache genommen hätte. Jetzt, da er am Ziel ist, fühlt er weder Erleichterung noch Sorge. Auch keine Furcht, obwohl er weiß, dass sie ihn jagen.
    »Es gab keine andere Lösung«, murmelt er vor sich hin.
     
    Das erste klare Erinnerungsbild nach dem Schuss zeigt ihm, dass er sich vom Mordplatz entfernt hat, ein Spaziergänger unter anderen Spaziergängern. Er geht ohne besondere Eile, und niemand scheint ihm Beachtung zu schenken. In der ersten panikerfüllten Erregung zieht der Tote alle Aufmerksamkeit auf sich. Martins eigenes unscheinbares Aussehen und seine in dieser Nacht ein wenig verkrümmte Gestalt, die wirkt, als kauerte er sich vor der Umgebung zusammen, verhelfen ihm dazu, unauffällig in der Masse unterzutauchen. Ohne sich anstrengen zu müssen, schlüpft er in seine Rolle als namensloser Schatten unter allen anderen namenlosen Schatten der Nacht. Er ist keine Person, die Anlass gibt, sich ihrer zu erinnern.
    Etwas später ist er gezwungen, vor einem Auto zurückzuweichen, als er die Straße überqueren will. Es sitzen vier ausgelassene, elegant gekleidete junge Leute im Fond, und der Fahrer schreit ihm verächtlich zu, dass alte Säufer zu Hause bleiben und den Verkehr nicht behindern sollten. Er erinnert sich sehr gut an die Backpfeifengesichter der beiden jungen Männer und an die Automarke. Etwas grantig wundert er sich darüber, wie sie in den Besitz eines solchen Schlittens kommen konnten.
    Dagegen kann er sich nicht mehr an den Schuss erinnern, auch nicht daran, dass der Getroffene auf die Straße fiel oder wie er selbst sich in den entscheidenden Minuten davor verhalten hat.
    Als er um die Straßenecke biegt,

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