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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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sein Glas nachfüllen zu lassen. Der Wirt, der wohl der beste Beobachter von allen ist, bemerkt, dass sein Gast in ungewohnter Weise auftritt. Er hat sich einen neuen Stil zugelegt und bewegt sich übertrieben selbstsicher, fast lässig. Das ist etwas Ungewöhnliches. Der Wirt spürt Neugier. Er weiß, dass Martins erstaunliche Selbstsicherheit nicht auf das eine Starkbier, das er bis jetzt konsumiert hat, zurückzuführen ist.
    »Du scheinst heute Abend gut gelaunt zu sein«, sagt er. »Hast du im Spiel gewonnen?«
    »Kann sein, kann sein«, antwortet Martin und lächelt ein wenig rätselhaft, aber auch überheblich dabei, als sei er der Auffassung, dass dies nichts ist, womit irgendein anderer, und am allerwenigsten der Wirt, zu schaffen hat.
    Als Martin an seinen einsamen Tisch zurückgeht, verweilt der Blick des Wirts für einige Augenblicke auf ihm. Die Veränderung überrascht ihn sehr. Er hat seit langem gelernt, was mit den meisten hier los ist. Dann zuckt er die Achseln. Für einen wie ihn, der das Leben kennt wie kaum einer, gibt es nichts wirklich Verwunderliches mehr. Im Übrigen hält er immer Distanz zu den Gästen. Das ist am einfachsten so.
    Martin sitzt dort allein und genießt. Die Leute in der Kneipe wissen nicht, dass der, über den sie reden, mitten unter ihnen ist. Ihre Stimmen sind weniger anmaßend als gewöhnlich, während sie ihre Theorien über Mord und Mörder darlegen. Manchmal glaubt er Respekt und Achtung herauszuhören. Es ist, als sollte der Täter jemand sein, der es trotz allem wert ist, dass man zu ihm aufschaut, weil er etwas geschafft hat, von dem die anderen nie zu träumen wagen, und weil er ein Mann ist, mit dessen Fähigkeiten sie sich nie vergleichen können. Bei manchen kann Martin sogar eine Spur von Neid entdecken, aber vor allem, wenn auch widerwillig, Bewunderung.
    Mit Stolz begreift er jetzt in vollem Umfang, dass er seinen Namen in das Buch der Geschichte eingeschrieben hat. Er ist eine historische Persönlichkeit geworden, und niemand kann ihm das rauben.
    So ist er endlich dieses peinigende Gefühl der Unterlegenheit losgeworden, das ihn ständig gequält hat und das auch die Menschen, die hier sitzen, allzu oft in gemeinster Weise ausgenutzt haben. Noch heute zeigen sie ihm weiter ihre Verachtung und ihre Gleichgültigkeit, aber das berührt ihn nicht mehr. Die Verachtung ist ein Bumerang geworden, der sie selbst trifft und der beweist, wie einfältig sie sind. Sie meinen, dass er eine erbärmliche kleine hirngeschädigte Null sei und nicht einmal das gewöhnliche Mittelmaß wie sie selbst. Sie haben nicht begriffen. Sie haben nicht verstanden, wie außergewöhnlich er ist.
    Die Ausnahme unter Millionen. Martin hört nicht mehr zu. Das meiste, was sie sagen, hat er bereits in den Zeitungen gelesen oder im Fernsehen gesehen, und er nur er weiß, wie unsinnig es ist. Er ist mit der Unkenntnis der Leute zufrieden. Leider gibt es einen Haken, eine paradoxe Beschränkung des vollen Ausmaßes seiner Größe, gegen die er nichts unternehmen kann und die zugleich eine Versuchung bedeutet, der er nie erliegen darf: Niemand darf je die Wahrheit über ihn erfahren, über die denkwürdige Tat, die er vollbracht hat. Er wird namenlos in die Geschichte eingehen. Damit muss er zu leben lernen.
     
    Es gibt nicht viel Ähnlichkeit zwischen dem Martin, der da am Ecktisch sitzt und sein Bier trinkt, und dem Martin in den ersten drei Tagen nach dem Mord. Er hat fast überhaupt keine Erinnerung an diese Zeit. Meistens schlief er, manchmal war er aber wach. Nacht und Tag waren ohne Bedeutung. Die Wachheit des Tages war von einer ebenso großen Leere erfüllt wie der Dämmerzustand der Nacht. Er lag wie gelähmt im Bett und starrte blicklos zur Decke, ohne sich überwinden zu können, etwas zu tun. Es war nicht das Gewissen, das ihn gepackt hatte. Alle Kraft schien ihn verlassen zu haben, und alles kam ihm völlig sinnlos vor. Es war, als hätte er nun kein Ziel mehr. Die Gedanken, die in seinem Kopf umherwirbelten, waren zusammenhanglos, und sie hatten selten etwas mit dem Mord zu tun. Alles Derartige schob er von sich weg. Stattdessen widmete er sich Tagträumen. Voller Lust wandte er sich wieder seiner Kindheit zu und suchte die wenigen kurzen Augenblicke auf, in denen er glücklich gewesen war. Dort wollte er für immer bleiben.
    In dieser Zeit verließ er die Wohnung nicht ein einziges Mal und schaltete weder Radio noch Fernseher ein. Dann meldete sich der Körper mit dem Verlangen

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