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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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soll man für sich behalten. Soweit sie nicht so groß sind«, fügt er ernster hinzu, »dass man nicht mehr allein mit ihnen leben kann.«
    Martin erstarrt. Gibt es nicht Andeutungen in der Stimme des Fremden, dass er mehr weiß, als er zu wissen vorgibt? Meint er wirklich nur seine eigenen Geheimnisse?
    Martin schüttelt den Kopf und zwinkert mit den Augen. Er fühlt sich schwindlig, gleichzeitig von Schreck gelähmt und aufgebracht. Dann versucht er sich zu beruhigen. Wie immer kriecht er in sich hinein und versucht sich einzureden, dass es keinen Grund zur Aufregung gibt. Es sind nur Hirngespinste, Einbildungen. Die Zeichnung in der Zeitung beweist, dass die Polizei eine ganz andere Person sucht. Darin sind sich alle einig, auch Martin. Warum sollte das Bild sonst veröffentlicht worden sein? Im Übrigen lehnt er es ab, sich zu erinnern. Er erinnert sich nur an die Zeit danach. Erst da wird etwas wirklich.
    Wer Martin besser als der Fremde kennt, würde jetzt begreifen, dass er langsam ernstlich verstört wird. Es scheint so, als sei er dabei, sich in zwei Personen in ein und demselben Körper zu verwandeln. Martin ist nahe daran, eine Grenze zu überschreiten, auf deren anderer Seite er sich in sich selbst verschließt und für alle anderen unerreichbar wird. Dort gibt es nur lähmende Leere – seine letzte Zuflucht. Dies ist eine Grenze, die weder er selbst noch ein anderer überschreiten möchte.
    Da geschieht etwas Merkwürdiges. Es blitzt in Martins Gehirn voller Klarheit auf. Der Verstand meldet sich und sagt ihm, dass er nicht an das, was gewesen ist, denken darf, sondern nur an die Zukunft. Er weiß, dass er Feinde hat, mehr als je zuvor. Vielleicht ist der Fremde einer von ihnen. Dieser schlaue Kerl, der neben ihm sitzt und zum Branntwein einlädt, stellt eine heimliche Falle, aber Martin hat ihn durchschaut. Er macht einen tiefen Atemzug, und der Seufzer, der nun folgt, wirkt befreiend und ist nicht mehr Ausdruck der Ohnmacht.
    Der Mann neben Martin, der seinen Namen nicht preisgeben will, bemerkt, was geschieht, und nickt, als glaubte er zu verstehen. So meinen sie, jeder auf seine Weise, den anderen durchschaut zu haben. So ist das mit den Menschen. Es gibt keine stärkere Kraft, keinen stärkeren Treibstoff als Angst und Einbildung.
    Die beiden Männer blicken sich an und heben dann gleichzeitig ihre Schnapsgläser zu einem erneuten Prost. Martins Augen sind nicht mehr so starr abweisend, obwohl er immer noch auf der Hut ist. Es gelingt ihm sogar, ein dünnes Lächeln hervorzupressen. Der andere antwortet verbindlich, indem er den Kopf neigt, und beide trinken. Ex. Dann spülen sie den scharfen Branntweingeschmack jeweils mit einem kräftigen Schluck lindernden Bieres hinunter.
    »Wir haben wohl alle unsere Geheimnisse«, nimmt der Fremde das Gespräch wieder auf.
    Er klingt wie ein Schulmeister. Vielleicht ist er gar kein Polizist.
    »Stimmt das nicht?«
    Jetzt sind die Worte drängend, und sie verlangen eine Antwort.
    »Ich weiß es nicht«, erwidert Martin ausweichend. »Ich habe wohl nicht mehr Geheimnisse als irgendein anderer.«
    »Nein. So ist es!«
    Das folgende Schweigen wirkt nach einer Weile ebenso schwer wie eine Anklage. Martin wird unbehaglich zumute.
    Dann beginnt der Fremde sich umständlich zu räuspern und nimmt einen gutmütigen Gesichtsausdruck an. Er ändert seine Rolle ebenso oft und unerwartet wie ein Chamäleon seine Farbe wechselt. Martin glaubt, dass er nicht greifbar ist, wie ein Luftgeist.
    Jetzt beugt sich der Mann so nahe zu Martin, dass dieser seinen Atem spüren kann. Er zeigt sich von einer Vertraulichkeit, die man gewöhnlich nur unter guten Freunden an den Tag legt. Man sieht ihm an, dass er für bedeutsam hält, was er zu sagen hat.
    »Es ist verständlich«, beginnt er leise, aber eindringlich, »dass wir nicht gern etwas mitteilen wollen, von dem wir glauben, dass andere Menschen nichts damit zu tun haben. Oder bei dem wir nicht wagen, es andere wissen zu lassen. Oder … was unseren eigenen Untergang bedeuten würde, wen andere davon wüssten. Das betrifft nicht nur, was wir in der Vergangenheit getan haben, sondern ebenso sehr unsere Gedanken. Ein Teil unserer Schwächen wollen wir ja nicht einmal an uns selbst wahrnehmen. Deshalb ist die Lüge so verbreitet.«
    Was soll man darauf sagen? Martin schweigt, aber trotz seiner Anstrengung fällt es ihm schwer, seine Unruhe unter Kontrolle zu halten. Er muss von hier weg. Er muss diesen Kerl loswerden. Das ist das

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