Schuldlos ohne Schuld
hinterlassen. Dann wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn hätten. Das durfte nicht geschehen.
In der Kneipe hat Martin ein Gespräch zwischen einem Wachmann und einem anderen Mann mitbekommen, dessen Frau ihr Geld verdient, indem sie Ladendiebe überführt. Nach den Worten des Mannes war die Frau sehr erfolgreich und hatte mehrere Prämien bekommen. Es war nicht klar, welchen Beruf er selbst hatte.
»Das einzige Problem ist«, sagte er, »dass sie sich weigert, öffentliche Verkehrsmittel zu nehmen, deshalb bin ich gezwungen, sie zweimal am Tag zu fahren. Ich muss zugeben, ich verstehe sie, obwohl es verdammt beschwerlich ist. Das Risiko, dass sie jemandem begegnet, den sie einmal geschnappt hat, ist ziemlich groß, wenn sie den Bus oder die U-Bahn nimmt, und da weiß man nie, was passieren kann.«
»So ist es«, grunzte der Wachmann zur Antwort. »Dem Gesindel kann man nicht trauen. Das weiß ich besser als jeder andere. Sie machen sich immer an den heran, der schwächer ist. Eine Frau kann nicht viel Widerstand leisten. Nur Leute wie ich haben gelernt, wie man mit denen umgehen muss.«
Das Bier tat das Seine, dass die Unterhaltung immer lauter wurde. Gemeinsam ließen sich die beiden Männer über die Schlappheit der Gesellschaft aus. Der einzige richtige Platz für das Pack, ob Fixer oder Ladendiebe, seien Zwangsarbeitslager, wo sie ein für allemal ihren Teil abbekämen.
»Weißt du, dass alle Diebe am Montagmorgen meistens freie Hand haben?«, fragte der Mann der Ladendetektivin.
»Warum?«
»Da trifft sich alles Überwachungspersonal für eine gemeinsame Besprechung. Sie tauschen Erfahrungen aus und lernen, neue Tricks zu entlarven. Du kannst dir nicht vorstellen, wie listig Ladendiebe sein können.«
»Einmal müssen die ja freien Lauf haben«, lachte der Wächter. »Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass sie es fertigbringen, so früh aufzustehen. Jedenfalls nicht am Montagmorgen. Dem Pack fällt es schwer aufzuwachen. Feuer unterm Hintern bekommen die erst, wenn der Kater verschwindet oder die Entzugserscheinungen allzu stark werden. Deshalb ziehen sie belebte Stellen vor. Dort ist es leichter unterzutauchen. Ich weiß aus Erfahrung, wie schwer es ist, jemanden zu verfolgen, wo es von Menschen wimmelt.«
In diesem Moment bekam Martin eine Idee für seine neue Tätigkeit. Erst wirkte er ein wenig erbärmlich. Ein Raubüberfall entspräche mehr dem Ruf, den er sich geschaffen hatte, auch wenn dieser weiterhin anonym blieb. Dann schien es ihm, dass er sich selbst widersprach. Gerissenheit und Vorsicht waren etwas, dass er von sich selbst fordern musste. Deshalb begann er sehr umsichtig zu planen. Er lernte, wo die Spiegel im Laden angebracht waren, und er glaubte zu wissen, wer der Detektiv war.
Nur der eigentliche Grund, warum sich Martin entschloss, Ladendieb zu werden, war ihm immer noch unklar. Die Wahrheit ist, dass er ihn nicht sehen wollte.
Die Uhr zeigt kurz nach zehn am Vormittag. Es ist nur etwas Laufkundschaft gekommen, die meisten davon sind Rentner, die die Preisschilder genau anschauen und sich offenbar nur schwer entscheiden können. Alte Menschen mögen sich oft gegenseitig nicht. Deshalb kommt es manchmal vor, dass sie drängeln, wenn sie meinen, jemand behindere sie unnötig. Dagegen sind sie sehr zuvorkommend gegenüber dem Personal, dem sie immer Platz machen, während sie um ein wohlwollendes Lächeln verlegen sind.
Martin dreht seine erste Runde durch die Lebensmittelabteilung des Kaufhauses. Er hält einen Einkaufskorb in der rechten Hand. Die Wagen passen nicht für sein Vorhaben. Er fühlt sich ein wenig nervös und kribbelig, ungefähr wie ein Sprinter bei der Meisterschaft, der sich in die Startlöcher begibt und auf den Schuss wartet. Diese Unruhe kann er ertragen. Sie ist belebend und wird sich in die Freude des Siegesrausches verwandeln, wenn er unentdeckt den Ausgang erreicht. Dies ist der eigentliche Grund, dass er beschlossen hat, sich so zu verhalten, wie er es tut. In sich hat er einen unwiderstehlichen Zwang gefühlt, die andere, tiefere Unruhe zu ersetzen, diese Unruhe, die ihn Tag und Nacht quält und peinigt und die er manchmal nicht mehr glaubt aushalten zu können. Jetzt versteckt sie sich in einem Winkel in seinem Innersten. Dort muss er sie mit allen Mittel zurückhalten. Ihm ist klar, dass er etwas Spannendes unternehmen muss, etwas, womit er sich selbst auf die Probe stellt. Aber er muss eine solche Herausforderung auch bestehen. Am
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