Schuldlos ohne Schuld
allerliebsten würde er über die Dummheit und Einfalt der anderen lachen. Dann wäre er wieder im Reinen mit sich.
In der Backwarenabteilung kauft Martin zwei Semmeln und zwei Zimtkuchen zum Nachmittagskaffee. Das ist eine ganz normale Besorgung so früh am Montagvormittag, wenn nur einfache Leute auf die Straße gehen. Dann wandert er weiter zu den Delikatessen. Er sucht ein saftiges Tournedo aus, gefüllt mit echter Salami aus Ungarn, Roastbeef und einige hauchdünne Scheiben vom besten Schinken. In der Fleischabteilung bedient eine Angestellte, die flink und geschickt die verschiedenen Waren in kleine dünne Pakete packt, auf die sie ein Preisschild klebt. Drei Scheiben geräucherter Lachs aus der Fischabteilung, in der ebenfalls eine Verkäuferin bedient, vollenden das Luxusmahl, auf das sich Martin freut.
Bis jetzt ist alles gut gegangen, und nichts Ungewöhnliches passiert. Die Spiegel, die zur Unterstützung des Überwachungspersonals an strategisch wohldurchdachten Stellen angebracht sind, reichen trotz allem nicht in jede Ecke und jeden Winkel. Martin hat ausgerechnet, dass die sicherste Stelle die Abteilung für Tierfutter ist. Vielleicht geht man davon aus, dass Hunde- und Katzenhalter ehrlicher sind als andere Kunden.
Eine ältere Dame steht dort und wühlt in den Dosen. Das stört Martin nicht. Im Gegenteil. Als sie sich hinunterbeugt, um mit steifen Knien eines der unteren Fächer zu erreichen, stößt sie mit Martin zusammen, und die Waren in seinem Korb fallen auf den Boden.
»Oje!«, sagt Martin freundlich und bietet sein wärmstes Lächeln. »Das war meine Schuld.«
Die Frau gafft ihn mit ihrem runzligen Gesicht an, und die rotgeränderten Augen schauen ungehalten. Dann wendet sie ihm den Rücken zu. Die Leute haben keinen Respekt mehr. Es ist das zweite Mal, dass er heute angerempelt wurde. Verärgert und leise grunzend macht er sich davon. Deshalb sieht weder sie noch jemand anders, dass Martin die Pakete vom Boden aufhebt und sie mit Ausnahme der Semmeln und der Zimtkuchen auf den Boden seiner tiefen Parkatasche gleiten lässt.
Martins zweite Runde durch das Geschäft geht in schnellerem Takt. Jetzt wirkt er wie jemand, dem das Einkaufen lästig ist und der außerdem wenig Zeit hat. Diesmal vermeidet er, den Theken mit Bedienung zu nahe zu kommen. Stattdessen nimmt er Blutwurst und Speck, Armeleuteessen wie der Käse in Plastikverpackungen. Zucker braucht er auch. Als er an den Regalen mit Kaffee und Tee vorbeikommt, bleibt er einen kurzen Augenblick stehen. Dann lächelt er listig und eilt weiter zum Ausgang.
Die Waren aus dem Korb liegen schon auf dem Laufband, als Martin einen Überraschungslaut von sich gibt.
»Ach, natürlich«, sagt er zur Kassiererin und macht eine Grimasse. »Ich habe Kaffee vergessen. Das können sie schon eintippen. Ich bin gleich wieder da.«
Mit schnellen Schritten geht Martin zum Kaffeeregal zurück und nimmt sich ein Pfund seiner Lieblingsmarke. Schon bevor er wieder an der Kasse ist, hat er die Brieftasche hervorgeholt. Der Parka ist vorn weit geöffnet und hängt Martin wie ein Cape über den Schultern. Mit einem entschuldigenden Lächeln drängt Martin sich an der Dame mit dem Hundefutter vorbei, die in der Schlange steht. Sie wirft ihm einen wütenden Blick zu und murmelt etwas von unverschämten Kerlen.
»Das ging doch schnell«, grinst Martin und bekommt ein bestätigendes Lächeln als Antwort.
Nun muss er noch bezahlen. Die junge Kassiererin hat ihn bereits vergessen. Der Ausdruck ihrer Augen ist verträumt und sehnsüchtig, als wünsche sie sich zu dem Vergnügen des Wochenendes zurück. Sie hat einen ganz anderen Mann als diesen Kunden im Kopf.
Alles ist verlaufen, wie Martin es geplant hatte. Er steht im Eingangsbereich des Warenhauses, wo eine Schnellreparatur für Schuhe, ein Tabaksladen und ein Wettbüro zu finden sind. Martin ist glücklich und zufrieden, und sein Gesicht strahlt. Er weiß nicht recht, was er sich bewiesen hat, aber es ist etwas Wichtiges. Am stolzesten ist er über den Trick mit dem Kaffee. Man muss nur die Kassiererin verwirren, dies hat aber auf natürliche Weise zu geschehen. Auf die Vergesslichkeit der Mitmenschen lässt sich schon bauen.
Martin kauft Zigaretten am Kiosk und scherzt sogar mit dem Mädchen hinter der Theke. Er benimmt sich fast auffällig. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er das Warenhaus gleich verlassen hätte. Seine Nervosität ist wie weggeblasen, und die tiefere Unruhe, die er bekämpfen
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