Schule der Lüfte wolkenreiter1
Vater hinaufzugehen? Unser letzter Besuch ist schon sehr lange her, und Margret und ich machen uns Sorgen um ihn.«
Ihre Bewegung zwang Wilhelm, entweder nachzugeben oder ihr unwillkürlich den Weg zu versperren. Er zögerte einen winzigen Moment, bevor er einen anmutigen Schritt nach links machte und ihr mit einer Handbewegung bedeutete, sie möge vorweggehen. »Aber gewiss, Philippa. Nun, wo ich weiß, wie besorgt Sie sind … aber bitte, nur ein kurzer Besuch. Mein erlauchter Vater ist wirklich nicht gut beisammen.« Ärgerlich lief er hinter ihr her die Treppe hinauf. »Ich darf Ihnen versichern, Pferdemeisterin, dass
Sie überall in Oc Ihren Geschäften nachgehen können, ohne sich Sorgen um Ihre Sicherheit machen zu müssen.«
Philippa konnte sich ein verächtliches Fauchen nur schwer verkneifen. Natürlich meinte er damit, dass man ihr hinterherspionierte und sie nichts dagegen tun konnte.
Wilhelm folgte ihr dicht auf den Fersen und machte deutlich, dass sie keine Minute mit Friedrich allein sein würde. Sophia, Frans, Eduard Krisp … Wilhelm hatte ganze Arbeit geleistet. Friedrich musste tatsächlich sehr schwach sein, wenn er gegen eine derartige Isolierung nicht aufbegehrte.
Sie sah nicht zu Wilhelm zurück, als sie auf die Räume des Fürsten zuging. Auf ihr leises Klopfen hin öffnete Friedrichs Diener. Er verneigte sich vor ihr und hielt die Tür weit geöffnet.
Friedrich, ihr alter Freund und Mentor, saß mit einer Decke über den langen Beinen in einem Ohrensessel am Fenster. Sein schmaler Körper wirkte in sich zusammen gesunken. Die schweren Vorhänge vor den hohen Fenstern waren zur Seite gezogen, so dass der Fürst seine Stallungen, den Hof sowie die Weiden, auf denen die geflügelten und die gewöhnlichen Pferde grasten, gut im Blick hatte. Als Philippa zu ihm ging, sah sie eine Pferdemeisterin in Reitkleidung aus dem Südflügel kommen, um den Palast herumgehen und den Stall betreten.
»Durchlaucht«, sagte Philippa sanft. Sie trat neben Friedrichs Sessel und wartete, dass er antwortete.
Sein Haar glänzte silbrig in der Morgensonne, doch als er aufsah und ihren Blick suchte, bemerkte sie, dass seine Augen ausdruckslos, beinahe trüb geworden waren. Eine Welle von Trauer überkam sie, und sie sank auf den erstbesten Stuhl.
Sie bemerkte, dass er etwas in seinen langen weißen Fingern hielt. Selbst während er mit ihr sprach, streichelte er unentwegt darüber und drehte es in den Händen. »Philippa«, sagte er mit leicht heiserer Stimme. »Wie nett, dass Sie mich besuchen.«
»Es tut mir leid, dass Ihnen nicht wohl ist«, erwiderte sie.
Wieder drehte er den Gegenstand in seinem Schoß und strich mit einem Finger über die Oberfläche. Es war eine gerahmte Miniatur, ein Porträt. Philippa erhaschte einen Blick auf weißblonde Haare, ein hübsches Gesicht, die dunklen Fleckham-Augen. Es war Pamella. Friedrichs verschwundene Tochter.
»Ein schöner Tag zum Fliegen«, murmelte er. Er wandte sich von ihr ab und drehte sich zum Fenster. Ein geflügeltes Pferd erhob sich am anderen Ende des Parks in die Lüfte und steuerte auf die Weiße Stadt zu. Friedrich sah ihm hinterher. Als es hinter den Bäumen verschwand, fiel sein Blick wieder auf die Miniatur.
»Ja, das ist es«, sagte Philippa. »Ich dachte, es ist ein perfekter Morgen, um Sie zu besuchen und mit Ihnen zu reden.«
Bevor Friedrich überhaupt antworten konnte, war Wilhelm schon an seiner Seite und beugte sich mit einem Glas Wasser zu ihm hinunter. »Vater. Die Ärzte haben gesagt, du sollst mehr Wasser trinken.« Mit einer erstaunlich zärtlichen Berührung ermutigte er Friedrich, das Glas zu nehmen, und wartete, dass er daraus trank.
Abwesend nippte Friedrich an dem Wasserglas. Philippa erschrak, als sie seine zittrige Hand bemerkte. Nachdem er ihm das Glas zurückgegeben hatte, wartete Philippa, dass Wilhelm einen Schritt zurückgehen würde, aber er blieb, wo er war. Mit dem Glas in der Hand lehnte er sich an den
Sessel seines Vaters und blickte aus dem Fenster, als habe die Sonne ihn hypnotisiert. Eine lange Minute verging.
»Durchlaucht«, setzte Philippa schließlich an. Sie stand von ihrem Stuhl auf und hockte sich neben den Fürsten. Sie spürte, wie Wilhelm sie beobachtete, nahm den Blick jedoch nicht von Friedrichs Gesicht und legte ihre Hand auf seine. »Ich weiß, wie sehr Sie trauern, und es tut mir leid, aber Margret und ich dachten …«
»Philippa, bitte«, fuhr Wilhelm scharf dazwischen. »Sie dürfen meinen
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