Schule der Lüfte wolkenreiter1
Einsatz zu bringen. Doch sie war eine Pferdemeisterin, und bei ihresgleichen wagte selbst der Sohn des Fürsten keinen derartigen Übergriff.
Der Gedanke an sie bewegte Wilhelm beinahe dazu, sich erneut dem auf dem Bett kauernden Mädchen zuzuwenden, doch in diesem Moment klopfte Slathan an die Tür. Das Mädchen, dessen Namen er längst vergessen hätte, falls er ihn sich überhaupt hätte merken wollen, hatte die Kleider und den Kapuzenmantel angezogen. Sie öffnete die Tür und schlüpfte hastig hinaus, bevor er sie aufhalten konnte.
Slathan steckte den Kopf ins Zimmer. Der grobschlächtige, korpulente Mann war ungepflegt und hatte entsprechend schlechte Manieren. Wilhelm tolerierte jedoch sein miserables Benehmen, weil Slathan absolut diskret war und vor keiner Aufgabe zurückschreckte, so abstoßend sie auch sein mochte.
»Brauchen Sie heute Nacht noch etwas, Herrschaft?«
»Heute Morgen, meinst du wohl«, erwiderte Wilhelm. »Nein, weck mich um zehn.«
»Ja, Herrschaft.« Slathan trat den Rückzug an.
»Ach, Slathan!«, rief Wilhelm. Er ging quer durch den Raum zu seinem Schreibtisch und suchte in der Schublade nach ein paar Münzen. Sein Diener stand in der offenen Tür. Die Halle darunter lag verlassen da, das Mädchen war nirgends mehr zu sehen, wahrscheinlich war sie schon auf halbem Weg nach Hause.
Auf dem Weg zur Tür klingelte Wilhelm mit den Münzen in seiner Hand und ließ das Geld dann in Slathans Pranke fallen. »Morgen brauche ich noch mehr von Notkins Gebräu.«
Slathan grinste ihn an, was seine vom Schnupftabak braun gefleckten Zähne entblößte, und verstaute die Münzen sorgfältig in dem Lederbeutel an seinem Gürtel. Er grub in einer Falte seines alten schwarzen Mantels und zog aus einer unsichtbaren Tasche eine braune Glasflasche hervor. »Hab mir schon gedacht, dass Sie so was sagen würden«, knurrte er heiser. »Noch was?«
Wilhelm nahm ihm die Flasche ab. »Nein. Ausgezeichnet, Slathan. Du hast meine Bedürfnisse wirklich hervorragend befriedigt.«
Slathan kicherte und drehte sich rasch um. Sein Mantel wehte um seinen Leib, und ein strenger Geruch waberte darunter hervor. Wilhelm hörte, wie er den ganzen Weg bis hinunter in die Halle vor sich hin kicherte. Mit angewiderter Miene schloss er die Tür und verriegelte sie. Wenn die Dinge anders lägen, hätte er wohl kaum jemand wie Slathan zu seinem persönlichen Diener gewählt. Doch er hatte derzeit nicht die Wahl. Sein ganzes Handeln war von Notwendigkeiten geprägt.
Er zog den Stöpsel aus der kleinen Flasche, um zu sehen, wie viel Flüssigkeit sich darin befand. Notkin hatte ihn einmal versucht zu betrügen und ihm eine halbvolle Flasche
für den vollen Preis geschickt. Diesmal war die Flasche allerdings bis zum Rand mit der ungesunden dunklen Flüssigkeit gefüllt. Mit einem freudlosen Lächeln verkorkte er die Flasche wieder. Notkin hatte teuer dafür bezahlt, dass er ihn übers Ohr hatte hauen wollen, und Wilhelm bezweifelte, dass es noch einmal vorkommen würde.
Er stellte das Fläschchen auf die Frisierkommode, zog seine bestickte Seidenweste aus und knöpfte langsam das Leinenhemd darunter auf. Auf halbem Weg zögerte er und starrte in den ovalen Spiegel, in dem er die Morgendämmerung sehen konnte. Er strich sich mit den Fingern sacht über die Brust. Dann beugte er sich weiter vor und fuhr prüfend mit der Hand über sein Kinn. Wie lange hatte er schon keine Rasur mehr benötigt? Es musste Wochen her sein. Seine Gesichtshaut war genauso weich und zart wie die des namenlosen Mädchens, das er gerade weggeschickt hatte. Er griff nach der Flasche mit Notkins Tinktur und wog sie in der Hand. Dieser Trunk war ein notwendiges Übel. Wenn man sein Ziel erreichen wollte, musste man notwendigerweise auch Opfer bringen.
Notkin hatte protestiert. Dieses Gebräu verletzte seine Apothekerehre, er könne für ein solches Rezept keine Garantie übernehmen, und der Fürst würde ihn gewiss zur Verantwortung ziehen, sollte seinem ältesten Sohn etwas zustoßen.
Selbstverständlich hatte Wilhelm ihn überzeugt. Vielleicht war seine Überzeugungsmethode nicht sonderlich erfreulich gewesen, doch er war auch dabei wieder von der Notwendigkeit geleitet worden. Seither protestierte Notkin nicht mehr, und Wilhelm war sich ziemlich sicher, dass der Mann niemandem von diesem besonderen Rezept erzählen
würde. Es war sehr hilfreich, dass der alte Apotheker eine attraktive Enkelin hatte, an der er sehr hing. Bis jetzt war es zwar nicht
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