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Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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das Recht – und damit für eine linke Politik – waren nach Kates Erfahrung oft bemerkenswert grob.
    »Irene Rexton.«
    »Hier.« Ein auffallendes hübsches Mädchen, zurückhaltend und mit einem so lieblichen und ansprechenden Gesicht, daß man sofort und unfair den Schluß zog, sie müsse hirnlos sein. Das lange, blonde Haar fiel ihr ins Gesicht und sie schob es lässig mit einer Geste hinter die Ohren, die verführerischer wirkte, als ihr wahrscheinlich selbst bewußt war. Zumindest hoffte Kate das.
    »Betsy Stark.« Aha, dachte Kate. Warum habe ich eigentlich erwartet, daß sie wie Katherine Hepburn aussieht? Zweifellos eine Assoziation. Betsy Stark war ein höchst unhübsches Mädchen, aber von der Sorte, die ihr von der Natur gegebenes Gesicht nicht mit allzu verschwenderischem Make-up oder schrill modischer Frisur zu verbessern suchte. Egal, wie es um ihren Humor stand, Betsy hatte beschlossen, sich so zu akzeptieren, wie sie war. Kate gefiel das. Im Gegensatz zu allen anderen war das Gesicht dieses Mädchens unberührt von Augen-Make-up: Zu meiner Zeit, dachte Kate, wäre es der Lippenstift gewesen. Zu meiner Zeit, stellte Kate außerdem fest, trugen wir immer Schuluniformen. Diese Mädchen trugen bunte Hemden mit langen Hosen oder seltsamen Röcken. Ich weigere mich jetzt, über Uniformen nachzudenken, dachte Kate und beschloß, daß die Gründe dafür, nicht an der Schule zu unterrichten, die man selbst besucht hatte, so zahlreich wie verborgen waren.
    »Elizabeth McCarthy. Ich sehe hier«, fügte Kate hinzu, »daß du erst in diesem Jahr ins Theban gekommen bist und daß du vorher im ›Sacred Heart‹ in Detroit warst. Wußtest du, daß du hier am Theban Seminare belegen mußt?«
    »Sie kam hierher, weil sie das ist, was mein kleiner Bruder böhmisch-katholisch nennt«, sagte Betsy Stark.
    Elizabeth McCarthy lächelte zu diesem Geistesblitz. »Ich bin immer in Nonnenschulen gewesen«, sagte sie, »und als wir nach New York zogen, wollte ich gern wechseln. Ich habe sieben Jahre Latein gehabt, aber kein Griechisch.«
    »Das Griechischproblem wollen wir am besten gleich klären«, sagte Kate. »Das letzte Mal Griechisch hatte ich in diesem Gebäude vor vielen, vielen Jahren ; ich bin also gern bereit, von denen unter euch zu lernen, die Griechisch können, und froh, mein Nichtwissen mit den anderen zu teilen. Und du«, fügte Kate hinzu und wandte sich an das letzte Mädchen, »mußt Alice Kirkland sein.«
    »Wenn ich muß, dann muß ich wohl«, sagte das Mädchen. Kate zog die Augenbrauen hoch und beschloß, es durchgehen zu lassen. »Nimm die Dinge locker«, hatte Julia ihr geraten, und Kate war bereit, diesem Rat bis zu einem gewissen Punkt auch zu folgen. Sie war, wie immer, überrascht über ihre scharfe Reaktion auf Unhöflichkeit.
    »Soviel dazu«, sagte Kate. »Nun zurück zu dem Vers, den ihr so provokativ an die Wand gehängt hattet und der genauso provokativ wieder verschwunden ist. Es stimmt durchaus, daß ich ihn wohl nie zu Gesicht bekommen hätte, hätte ich nicht diesen Rundgang durch die Schule gemacht, und genauso stimmt es, daß ich vielleicht aus Taktgefühl hätte so tun sollen, als hätte ich ihn nicht gelesen. Doch – ich habe ihn gelesen, und wenn ich eines von der Jugend gelernt habe, so ist es die Erkenntnis, Heuchelei jeder Art um jeden Preis zu vermeiden. Man könnte sogar sagen, daß da ein Zusammenhang zur ›Antigone‹ besteht, aber lassen wir das beiseite. Der Vers war eine Herausforderung, der ich mich stellen möchte. Ich schlage vor, jede von euch schreibt ein Gedicht über die ›Antigone‹, vielleicht über einen Teilaspekt. So habt ihr Gelegenheit, eure dichterischen Fähigkeiten zu üben, und ich fühle mich besser.
    Ich lasse jetzt eine Liste von Büchern herumgehen, die sich, meiner Meinung nach, auf interessante Weise mit bestimmten Problemen der ›Antigone‹ auseinandersetzen. Im Laufe der Zeit werdet ihr vielleicht andere, ebenso interessante oder noch interessantere Werke entdecken, die wir dann der Liste hinzufügen können. Da wir sieben sind und vierzehn Wochen Zeit haben, schlage ich vor, daß jede von uns an zwei Seminartagen die Lektüre bestimmt und die Diskussion leitet. Ich werde in der nächsten Woche beginnen, und ihr sechs kommt nacheinander in den folgenden Sitzungen dran, anschließend beginnt die Runde von vorn. Irgendwelche Kommentare, Vorschläge oder spontane Dichtungen?«
    »Ich kann keine Gedichte schreiben«, sagte Alice Kirkland.

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