Schule für höhere Töchter
Sicherheitsvorkehrungen getroffen; vielleicht müssen wir sie auch ganz abschaffen. Nach und nach gerät die ganze Angelegenheit in Vergessenheit, und die Schule setzt ihre Gratwanderung durch diese schwierigen Zeiten fort. Wären Sie damit zufrieden?«
»Wir?« fragte Reed. »Kate und ich?«
»Ja. Sie. Sie beide.«
»Zufrieden, in welcher Beziehung? Miss Tyringham, vor ein paar Jahren hat in New Jersey eine Frau der besseren Gesellschaft auf ihren Mann geschossen und ihn getötet, als er nackt und mitten in der Nacht ins Schlafzimmer kam. Sie behauptete, sie habe ihn für einen Einbrecher gehalten. Es gab Beweise, daß die beiden nicht sehr gut miteinander auskamen. Ein Geschworenengericht aus zwölf guten, ehrenwerten Bürgern sprach sie von der Anklage des Mordes und der fahrlässigen Tötung frei und fällte das Urteil: Tod durch Unfall. Wir alle haben das vergessen und werden auch diese Geschichte vergessen. Angenommen, die Geschworenen hätten auf Mord entschieden, egal ob vorsätzlich oder im Affekt. Wem hätte das genützt? Die Kinder wären nicht nur vaterlos gewesen, sondern hätten obendrein eine verurteilte Mörderin zur Mutter gehabt. Es ist nicht anzunehmen, daß sie noch einmal auf jemanden schießen wird; ganz im Gegenteil. Mein ist die Rache, spricht der Herr.«
»Mir kommt diese Tendenz zur Rechtsbeugung in jede gerade opportune Richtung, die sich in Ihrer Geschichte zeigt, ungeheuerlich vor. Die Jugend hat wirklich recht: Wenn wir uns ärgern und Zeter und Mordio schreien, weil die Straßen nicht sicher sind und unsere Häuser genausowenig, und das ist so, weiß der Himmel, dann müssen wir dafür sorgen, daß wir nicht Bestrafungen für Verbrechen fordern, Gesetz und Ordnung, wenn Sie so wollen, die dann – unter uns gesagt – für die oberen Gesellschaftsschichten nicht gelten sollen.« Sie nippte an ihrem Brandy.
»Ganz richtig«, sagte Reed. »In dieser Beziehung bin ich ein alter Zyniker, und ich habe gelernt, in vielen Fällen ein Auge zuzudrücken. Fragen Sie Kate. Sie ist noch immer ehrenhaft und naiv. Fragen Sie sie, ob sie mit dem Happy-End, das Sie für uns entworfen haben, zufrieden wäre. Sehen Sie, eines meiner Probleme ist, daß ich irgendwie mit den Kindern fühle.«
»Genau wie ich«, sagte Kate erregt. »Meine Brüder, die immer als Musterbeispiel für Korrektheit in dieser Welt herhalten müssen, wenn ich mich ereifere und aus der Rolle falle, reden andauernd – und ich meine wirklich ununterbrochen – von Recht und Ordnung; sie reden vom Verbrechen auf der Straße, von den ausgeraubten Wohnungen und Häusern, von Unruhen auf dem Campus, der fehlenden Macht der Polizei und mangelndem Respekt vor dem Gesetz, bla, bla, bla. Wenn ich aber davon rede, daß sogar das Meer schon von Ölschlamm verschmutzt ist, daß die Autoindustrie keine Stoßstangen baut, die Autos schützen, weil sich rein dekorative Stoßstangen besser verkaufen lassen, daß die pharmazeutische Industrie Contergan auf den Markt gebracht hat und so weiter, dann sind sie – egal mit welchem meiner Brüder ich gerade rede – in keiner Weise aufgebracht und bringen höchstens ein Pro-forma-Kopfschütteln zustande. Hat das etwas mit den Dingen zu tun, über die wir hier sprechen?«
»In gewisser Weise schon«, sagte Miss Tyringham, »das heißt, falls wir über Ehrgefühl sprechen, was wir tatsächlich ein wenig eingehender tun sollten, und ich meine hier wirklich Ehre und nicht den äußeren Schein, das Wort, das die meisten Menschen mit dem Wort ›Ehre‹ verwechseln. Aber ich muß an die Schule denken; das ist meine Aufgabe. Und im Interesse der Schule müssen wir annehmen, falls man uns läßt, daß die ganze Angelegenheit ein unglücklicher Unfall war. Vielleicht war es das ja auch.«
»Besteht denn überhaupt eine Chance, die Sache zu vertuschen?« fragte Kate. »Würde die Polizei sie wirklich ruhen lassen wie schlafende Hunde, um ein besonders gut passendes Bild zu gebrauchen?«
»Ja«, sagte Reed, »ich fürchte, die Chancen stehen sehr gut, wenn niemand Einspruch erhebt. Sie ist an einem Herzanfall gestorben, vorausgesetzt, man stellt im Laufe der Untersuchungen nichts anderes fest. Wem soll es nützen, wenn man einer Reihe bedeutender Leute auf die Füße tritt und die einzigen, die man zu unrecht beschuldigen könnte, sind zwei Hunde, die schlimmstenfalls aufs Land geschickt werden oder eine andere Aufgabe bekommen? Schließlich sind wir doch alle vernünftige Menschen mit Verständnis für
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