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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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Schwierigkeitsgrad unser Direktor explizit hervorgehoben hatte, hörte ich von Freunden häufig, wie sie wieder mal eine Deutschklausur mit einer Drei bestanden hatten, ohne jemals auch nur ein Buch oder einen Text aus dem Unterricht gelesen zu haben. Ich hielt das zuerst für Angeberei, wie bei den Sportkoryphäen, die jeden Tag Gewichte stemmen, aber steif und fest behaupten, sie würden nie trainieren. Zu diesem Zeitpunkt waren mir meine Noten mehr als gleichgültig. Ich hatte einen Schnitt von 2,3.   Nach meinem Amerikaaufenthalt hatte ich sämtliche Illusionen über das deutsche Schulwesen verloren und fühlte mich, als könne ich nichts mehr verlieren. Also ließ ich es darauf ankommen: Ist es möglich, eine Klausur und im nächsten Schritt einen gesamten Kurs zu bestehen, dessen Endnote sich zudem auch aus der mündlichen Beteiligung zusammensetzt, ohne jemals einen Text oder ein Buch in dem Kurs gelesen zu haben? Und die zweite Frage: Wird schlechte Leistung tatsächlich belohnt? Das Resultat war erstaunlich.
    Die Lektüre des Semesters hatte ich also bewusst nicht gelesen, und als ich das Stöhnen meiner Mitschüler über den Text hörte, konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Die Klausur gänzlich ohne Vorbereitung zu absolvieren, würde russischem Roulette gleichkommen. Eine Analyse basierend auf dem Titel des Buches zu schreiben war zwar möglich, führte aber höchstwahrscheinlich eher ins Tal der Tränen. Also tat ich, was inzwischen üblich ist: Ich suchte im Internet. Hier lud ich mir eine zweieinhalbseitige Zusammenfassung inklusive Analyse herunter und empfand es damals noch als Zumutung, dass ich so viel Text durchlesen musste. Eine einseitige Zusammenfassung gab es leider nicht. Mit Google, etwas gesundem Menschenverstand und der hohen Kunst des hochgestochenen Schwafelns ausgestattet schrieb ich die Klausur   – und bestand mit »Gut«. Das eine Problem war also gelöst. Blieb nun noch die mündliche Beteiligung. Jetzt hatte ich Blut geleckt und war fest entschlossen, das Experiment bis zumEnde durchzuexerzieren. Ein Motiv, meine kalkulierte Faulheit aufzugeben, hatte ich aus bekannten Gründen nicht. Mein nächster Schritt war eindeutig: Ich tat nichts.
    Gut, das stimmt nicht ganz, denn wenn man es genau nimmt, tat ich schon etwas. Erstens war ich im Unterricht immer physisch anwesend. Anwesenheit ist wichtig, da Abwesenheit im Zweifel immer ein Fallstrick werden kann. Zweitens nickte ich bei Augenkontakt mit der Lehrerin immer konstruktiv und freundlich mit dem Kopf. So vergingen die Wochen, in denen ich für dieses Fach keinerlei Texte las, niemals Hausaufgaben machte, geschweige denn mich auch nur einmal auf den Unterricht vorbereitete. Die Frage war nur, wie lange würde das gut gehen? Erst mal für eine ganze Weile, schließlich wurden Hausaufgaben nicht kontrolliert und waren somit optional. Ich hielt es dennoch für unwahrscheinlich, dass ich was Besseres als eine Drei bekommen würde, sollte ich weiterhin nur auf meinem Stuhl hocken und ab und zu »interessiert« nicken. An einem Tag, wie immer war ich ohne Vorbereitung in den Unterricht gekommen, war es der Lehrerin aufgefallen, dass ich mich »seit Längerem« nicht mehr mündlich beteiligt hatte. Sie forderte mich auf, ich solle mich doch mal zum Text äußern. Glücklicherweise hatten wir besagten Text zuvor im Unterricht nochmals gelesen   – für all diejenigen, die es wieder mal nicht »geschafft« hatten, das Ganze als Hausarbeit zu lesen. Das war die Mehrheit der Klasse und so wurden die Leistungswilligen bestraft und die Unwilligen belohnt. Gut, dass ich in diesem Fach zur unwilligen Mehrheit und nicht zur Leistungs-Minderheit gehörte. Die Fragen konnte ich mit gesundem Menschenverstand, pseudo-intellektuellem Gequatsche und etwas Geschick beantworten, dazu zur Ablenkung noch etwas aktive Interaktion mit einem Mitschüler und kritisches Nachfragen zweier Punkte im Text, was vortrefflich meine völlige Inkompetenz übertünchte, und voilà: ich hatte meine mündliche Beteiligung. Tatsächlich sollte dieses singuläre mündliche Ereignis ausreichen, um mir, in Addition mit der Klausur, für das gesamte Semester die Endnote »Gut« zu bescheren.
    Ich hatte meinen Beweis: Nichts gemacht, locker durchgekommen. Mit einem Auge lachte ich und freute mich. Doch mit dem anderen Auge weinte ich, weil ich sämtliche Leistungen meinerseitsin all den Jahren zuvor, in denen ich tatsächlich immer die Texte las, mich sorgfältig

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