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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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Schnitt nur zehn Minuten zu spät in den Unterricht kommt und 24   Unterrichtsstunden pro Woche gibt, ergibt das eine ordentliche Fehlstundenzahl. Bei einer Dauer von 45   Minuten pro Fach sind das knapp 5   Unterrichtsstunden   – ein ganzer Arbeitstag   – pro Woche, die der Lehrer so versäumt. Und einige meiner Lehrer haben den Weg in die Klasse erst gar nicht gefunden.
     
    An meiner amerikanischen Schule waren 1500   Schüler und trotzdem hatte jeder Lehrer immer Zeit für ihre großen und kleinen Anliegen. Nach Eigeninitiative wurde nicht nur gefragt, sondern sie wurde gefördert und war essenzieller Bestandteil der Ausbildung. Es war den Lehrern egal, wo man herkam und wer die Eltern waren. Das einzige Bewertungskriterium war, wie gut man seine Arbeit machte. Machte man sie gut, bekam man die entsprechende Anerkennung. Das stellte ich persönlich sehr rasch fest. Ich musste Mathematik als Pflichtfach wählen   – für beide Semester an der Highschool. Schnell merkte ich, dass der Unterricht nicht einfach werden würde. Das Tempo war sehr hoch und ich verstand nicht einen der unzähligen Fachbegriffe in Englisch. Mein Wörterbuch war keine Hilfe   – zu speziell waren die Vokabeln   – und das Internet war damals noch nicht so ausgereift, wie es heute ist. Meine Noten waren schlecht, und so traf ich mich mit meinem Mathelehrer zu einem Gespräch, in dem ich ihm meine Situation erklärte. Ich hatte keine Probleme mit Mathe an sich, doch die Sprache war ein Hindernis, das ich, so die Faustregel für Austauschschüler, ohne Mühe nach ca. 2 bis 3   Monaten überwunden haben sollte. Der Lehrer verstand und erklärte sogar, dass er mich als Schüler mochte, gar bewundere für meinen Mut, in einem fremden Land mit einer fremden Sprache in die Schulezu gehen, aber   – fügte er hinzu   – er könne an meiner Note nichts ändern. Ich erbrachte objektiv nicht die Leistung für eine bessere Note und Almosen wurden hier nicht verteilt. Er blieb hart, war aber fair und verständnisvoll.
    Ich begriff, dass man hier zwar nichts geschenkt bekommt, dass sich aber, sollte ich meine Leistung steigern, auch sofort meine Note verbessern würde. Und so lag die Verantwortung für mein Schülerleben genau da, wo sie hingehört: bei mir. Ich hatte die Wahl, es bei der schlechten Note zu belassen, um in Konsequenz im nächsten Flugzeug zurück nach Deutschland zu fliegen, denn gute Noten waren ein Kriterium für das Fortlaufen des Austauschprogramms. Oder ich konnte meine Leistung steigern, noch mehr arbeiten, selber die Initiative übernehmen. Ich entschied mich für Letzteres und bat meine Eltern, mir einige meiner Unterlagen aus dem Mathematikunterricht aus der 11.   Klasse zu schicken. Nun konnte ich mich daranmachen, alle Fachbegriffe selber zu übersetzen   – neben dem Rest der Schularbeiten eine mühsame Arbeit. Aber ich wollte es unbedingt. Nach ein paar Wochen war meine Note von einem ›D+‹ auf ein ›C+‹ gestiegen. Der Nebeneffekt dieser Situation war, dass ich zum ersten Mal auf meine Leistung stolz sein konnte   – ich hatte meine Note nach objektiven Kriterien gesteigert. Keine Förderprogramme, keine Almosen, kein Integrationsbonus für deutsche Schüler, die die mathematischen Vokabeln im Englischen nicht kennen. Meine Integration in die amerikanische Schule und letztlich auch in die Gesellschaft war ganz allein in meiner Verantwortung und somit meine aktive Wahl. Ich wurde nicht willkürlich be- oder verhindert, aber Geschenke verteilte auch niemand.
    Jetzt verstand ich, warum die zwei ehemaligen Austauschschüler so erwachsen wirkten, als sie damals vor uns in der 10.   Klasse referierten. Auf der Suche nach den Eliten von morgen berichtet Julia Friedrichs von 10   Studenten mit Migrationshintergrund, die ein Elitestipendium erhalten haben. Was sie eint, ist der starke Wille und die Bereitschaft, Leistung zu bringen und vor allen Dingen, sich eigenständig zu integrieren. Die Verantwortung für ihr Leben, Lernen und Handeln liegt dort, wo sie hingehört: bei ihnen selber. »Um es als Ausländer in der Schule zu schaffen, (…) ist man besser fleißiger als alle anderen«, resümiert eine der Stipendiatinnen 15 . Könnte das System haben? Eigenverantwortung übernehmen klingt ziemlich revolutionär im Land der Rundum-sorglos-Vollkasko-Alimentierung, ist aber gängiger Standard in vielen anderen Industrienationen.
     
    In der 13.   Klasse, kurz vor dem deutschen Abitur, dessen

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