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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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Lehrerin sammeln wollte, musste ich mich danach an einer oder mehreren Schulen verdingen. Die Entscheidung war schwer. Sich in die Höhle des Löwen begeben   – sollte ich das wirklich tun? Schließlich überwogen die Wut über das Erlebte, die Neugier, das Gefühl, dass es auch anders gehen müsse, und eine intuitive Ahnung, dass meinem Sohn die Insiderinformationen inirgendeiner Weise nützlich sein würden. Ich nahm mir drei Dinge für meine Recherche vor: die Strukturen des Systems so weit wie möglich zu durchschauen, meine Vorstellungen von gelingender Schule zu erproben und alles aufzuschreiben. Mein Mann erklärte mich erstaunlicherweise nicht für verrückt. Mein Sohn war mit meinem Plan einverstanden. Er meinte, mit leicht sarkastischem Unterton, er sei neugierig darauf, wie es mir ergehen würde. Ich nahm beides als Ermutigung, schickte meine Bewerbung los und wartete.
     
    Als der Brief vom Ministerium kam, der mir eine Schule und ein Seminar zuwies, hatte ich dann doch gemischte Gefühle. Auch meine eigenen Erfahrungen mit und in der Schule waren nicht gerade motivierend gewesen. Offen gestanden war ich froh, dass ich, früh eingeschult, dank eines Kurzschuljahres bereits nach 12   Jahren den ganzen Betrieb längst hinter mir gelassen hatte. Ich musste verrückt sein, jetzt wieder hineinzugehen. Einen Moment lang fragte ich mich, ob ich nicht doch absagen sollte und ob diejenigen, die ich im Referendariat treffen würde, ebenso dachten. Warum wollten sie Lehrer werden? Vermutlich würden sie jung sein, zumindest jünger als ich, und vor ihnen stand die Aussicht auf dreißig bis vierzig (!) Jahre Lehrerdasein. Das machte mich wieder neugierig. Ich durfte mich einfach nicht vereinnahmen lassen vom System und musste beobachten   … Unterrichten musste ich irgendwie auch und wusste nicht einmal, ob ich das konnte. Wie viele begnadete Lehrer gab es pro Jahrhundert? Ich war mit Sicherheit keiner davon. Ich ahnte, dass unsere Schulen unter dieser Voraussetzung unter einem akuten Lehrermangel zu leiden haben würden. Aber wollte ich nicht eruieren, warum Menschen Lehrer werden, die nicht einer dieser wenigen begnadeten Mentoren sind? Wollte ich nicht wissen, was die geheimen Strukturen des Systems Schule waren? Musste ich dafür nicht in die Schule hineingehen? Ich musste.
    Als ich das erste Mal vor dem alten voluminösen Kasten stand, der meine Seminarschule sein sollte, fühlte ich mich sofort an meine Einschulung erinnert. Auch meine erste Grundschule war ein Bau aus der Kaiserzeit gewesen. Sie erschien mir damals riesig, Furcht einflößend, und ich stand mit anderen AB C-Schützen vordem Gebäude, lächelte für den Fotografen und umklammerte die Schultüte. Ich zögerte kurz, bevor ich langsam die schwere Holztür öffnete und in den muffigen, dunklen Innenraum trat. Drinnen war alles ruhig, offenbar war jetzt Unterricht. Ich schaute auf meinen Zettel, der Raumnummer und Stockwerk des Seminarraumes auswies, durchquerte die Schule und fand im hintersten Winkel ein großes Zimmer mit einem riesigen Tisch und vielen Stühlen. Am Nebenraum zeigte ein Türschild an, dass es sich hier um ein Sekretariat handelte, und an der Tür nebenan stand auf einem weißen Schild »Ute (dann folgte ein komplizierter Doppelname) OStD, Hauptseminarleiterin S«. »OStD« bedeutete was? Und »S«? Ich hatte keine Ahnung. Das Erste, was ich von Schule sah, waren Hierarchie- und Statusbezeichnungen. Ich klopfte vorsichtshalber an die Tür, an der »Sekretariat« stand, trat ein, wurde von einer älteren Sekretärin mit routinierter Nettigkeit begrüßt und nach nebenan geschickt. Ich klopfte an die Verbindungstür und wurde hereingerufen. Vor mir saß Frau B.-K. an ihrem Schreibtisch. Sie erhob sich ein wenig steif, um mich zu begrüßen, eine kleine drahtige Person mit Pagenschnitt und Brille in einem grauen Hosenanzug, die ein bisschen gequält lächelte und sagte: »Das finde ich ganz toll, dass Sie das noch machen wollen!« Vermutlich meinte sie das Referendariat und spielte mit dem »noch« auf mein Alter an. Ich wagte nicht, danach zu fragen, was »OStD« und »S« bedeuteten. Ich würde es mit Sicherheit erfahren. »Ich freue mich auch«, antwortete ich und wurde von der Dame mit dem komplizierten Namen in einen kurzen Small Talk verwickelt. Sie fragte mich, warum ich das Referendariat jetzt noch machen wolle, und ich sagte: »Ich bin bis jetzt einfach noch nicht dazu gekommen. Zu viel zu tun. Ich bin ausgeflogen nach

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