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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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auf die Klausuren vorbereitete, in einem ganz neuen Licht sah und mich fragte: »Warum?«. Und es wurde mir endgültig bewusst, in welcher dramatischen Situation sich das deutsche Schulwesen befand. Ich nahm es damals als Satisfaktion für die Schmerzen, die ich zuvor erlitten hatte, doch ich fühlte mich wie ein Dieb. Ich hatte eine Belohnung bekommen für etwas, das ich nie gemacht hatte   – und es war so einfach gewesen.
    Von da an ließ ich das Hidden Curriculum für mich arbeiten. Eine Strategie, die in der Oberstufe besonders gut funktioniert, da ich immer das Gefühl hatte, dass die Lehrer hier, im Unterricht der Sekundarstufe II, besonders entspannt, um nicht zu sagen nachlässig waren. Der Grund ist einfach erklärt: Aus Sicht der Lehrer ist die Oberstufe ein Geschenk des Himmels. Der Selbstreinigungsprozess des Systems lässt das Gros der Rebellen, Schulversager und Klassenclowns nach der 10.   Klasse mit Erhalt der Mittleren Reife abspringen   – sofern sie nicht schon vorher gegangen worden sind. Die Schüler der Klassen 12 und 13 können sich vernünftig artikulieren und arbeiten eigenständig, auch ohne Aufsicht. Kurz: Sie sind stubenrein und pflegeleicht   – und einige, die gar nichts begriffen haben, sind sogar noch ambitioniert. Ergo macht die Sek II, im Verhältnis zu den anderen Jahrgangsstufen, einem Lehrer kaum Stress, wenig Ärger und nach zwei bzw. vier Semestern sind die »Großen« dann eh in der Uni.
    Gegen Ende der 13.   Klasse wiesen uns die Lehrer darauf hin, wir sollten schon mal all unsere Bücher zusammensuchen, um sie wieder abzugeben. Wer vor Ausstellung des Abiturzeugnisses noch ein Buch in seinem Besitz habe, werde kein Zeugnis erhalten. Zeit bis zum Abi: ca. drei Monate. Der Zeitpunkt dieser Aufforderung musste wohl bewusst gewählt worden sein, denn die Lehrer hatten bereits die Schlampigkeit und Vergesslichkeit der Mehrzahl der Schüler mit eingeplant. Für mich war diese Aufforderung nur willkommen, da ich die Bücher lieber früher als später loswurde. Ich glaubte naiverweise, dass ich mich, sollte ich die Bücher frühzeitig einreichen, später nicht mehr darum zu kümmern brauchte.
    Am Tag der Abiturverleihung wurde allen Schülern, außer mir und vier weiteren, das Zeugnis ausgehändigt. Warum? Der Direktortrug unmittelbar nach der »Zeremonie« zur Aufklärung bei. Er war sehr leicht aufzufinden: beim Alkoholausschank, Sekt trinkend und mit rotem Kopf Häppchen essend. Ich schilderte ihm meine Situation, erklärte, dass ich bereits nächste Woche nach München aufbrechen müsse, um dort mein Volontariat zu beginnen. Es gab keinen Grund, mir mein Abizeugnis zu verweigern. Das schien ihn wenig zu beeindrucken, und im Übrigen wisse er selbstverständlich nicht, was schiefgelaufen sei. Erst als weitere Schüler und Eltern intervenierten, erklärte der Direktor mürrisch: »Ja, dann muss ich das hier (die Feier) wohl verlassen.« Ja, das musste er wohl. Und so gingen wir in sein Büro, in dem er nach wenigen Minuten verkündete, dass ich mein Zeugnis deshalb nicht erhalten hätte, weil zwei meiner Bücher nicht abgegeben worden seien. Das sollte er also sein, der krönende Abschluss nach 13   Jahren an deutschen Schulen. Ein Volontariatsjahr bei der größten Filmgesellschaft Europas in München in der Tasche, aber leider kein Abiturzeugnis, weil es die Lehrer versäumt hatten, meine Bücher als »zurückgegeben« in ihren Listen zu markieren. »Dann haben Sie die Bücher zu früh abgegeben!«, stellte sich der Direktor schützend vor seine Lehrerkollegen. Es muss wohl der Druck der Eltern auf der einen und der Drang nach dem Sekt auf der anderen Seite gewesen sein, der ihn dann doch noch dazu veranlasste, mir mein Zeugnis auszuhändigen. Es war mein letzter Tag an einer deutschen Schule und es wäre, zugegeben, auch viel zu einfach gewesen, hätte es diesmal keine Probleme gegeben.
    Mit dem Zeugnis in der Hand schlenderten meine Eltern, unsere Freunde und ich in Richtung Schultor. Wir ließen die Feier, den Sektstand und die Würstchenecke hinter uns. Fassen konnte ich es noch nicht. Vor vierzehn Jahren, bepackt mit Ranzen und Schultüte und voller Erwartungen, betrat ich sie zum ersten Mal, die deutsche Schule. Und nun war es vorbei, nie mehr musste ich mich von mittelmäßigen Job-Erledigern, Biolatschen-Cowboys, senilen Damen, Säufern und Sadisten belehren lassen. Ich drehte mich noch einmal um, warf einen letzen Blick auf die heruntergekommenen Gebäude und

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