Schule versagt
einfach vorausgesetzt, dass ich auf Männer so reagierte wie Frau D.: wie die Motte auf das Licht. Aus heutiger Sicht, mit dem gehörigen Abstand, erscheint mir das alles absurd. Und traurig natürlich, denn es handelte sich bei den Agierenden in dieser Schmierenkomödie um erwachsene Menschen, die Jugendlichen nicht nur Kompetenz, sondern auch moralische und charakterliche Reife und Integrität vorleben müssten.
An eine andere Schule versetzt zu werden, war für einige der Kollegen, die ich in meiner Zeit in der Schule kennenlernte, das Schlimmste, was sie sich vorstellen konnten. Viele waren Beamte; weder ihre berufliche Existenz war gefährdet, noch ihr Status als Studienrat. Aber sie hatten Angst, sich auf Neues einstellen zu müssen, das Gewohnte zu verlassen. Ihre Orientierungssicherheitwar durch eine drohende Versetzung völlig verschwunden. Sie wirkten hilflos und schwach, ein Bündel Unsicherheit. Viele Lehrer bringen nur schwer eine Vorstellung darüber auf, was draußen passiert, geschweige denn, dass sie irgend etwas davon verstehen. Es scheint unmöglich zu sein, sich in wirklich existenzbedrohende Situationen hineinzuversetzen, wenn die Versetzung an eine andere Schule schon als extrem bedrohlich empfunden wird. Ein Kollege, dessen Frau ebenfalls Lehrerin war und die gerade ihr erstes Kind bekommen hatte, sagte einmal zu mir: »Sie würde ja gern noch eine Weile zu Hause bleiben und sich intensiv um unser Kind kümmern. Aber länger als ein Jahr geht das nicht.« Auf meine Frage, warum das nicht gehe, antwortete er: »Dann könnte sie nicht an ihrer jetzigen Schule bleiben!« Er sprach das Ausrufungszeichen deutlich mit. Offenbar verstand er überhaupt nicht, wie ich so eine dumme Frage stellen konnte.
Als ich an einer meiner Schulen eine eigene Klasse übernahm und sie sich außerordentlich gut entwickelte, reagierten einige Kollegen vordergründig positiv. Sie nahmen die Veränderungen gegenüber anderen Klassen deutlich wahr und artikulierten das auch. Wie diese Veränderungen in Denken und Verhalten zustande gekommen waren, war offenbar schwierig zu begreifen. Äußerungen wie: »So was haben wir einmal in 20 Jahren!« oder »Das ist unsere Vorzeigeklasse!« fielen durchaus. In Konferenzen oder in Gesprächen auf die Ursachen dieses Umstandes angesprochen, lautete die Antwort: »Du hast ein Glück gehabt! Das möchte ich auch mal haben!«, »Du hast offenbar nur die besten Schüler bekommen – beneidenswert!«, »Da sind per Zufallsprinzip die Besten zusammengekommen.« u. ä. Es war in ihren Augen »Glück«, das ich gehabt hatte, ein Geschenk des Himmels, dessen ich mich ohne jede Eigenanstrengung erfreuen durfte.
Wenn ich daran erinnerte, dass meine Schüler, als sie in der Schule ankamen, sich genauso verhalten hätten wie die Schüler der Parallelklasse, konnte man sich daran gar nicht mehr erinnern, bzw. sei das aber doch nur eine ganz kurze Zeit so gewesen. Es war hoffnungslos. Nach meinem Empfinden steckten vor allem zwei Motive dahinter: Ahnungslosigkeit und Neid. Es gab tatsächlich Kollegen, die nichts begriffen und als Ahnungslose durch die Schulwelt gingen. Sie meinten, was sie sagten, weil sie es nichtbesser wussten. Sie machten sich keine Gedanken, sondern ihren Job. Dementsprechend freuten sie sich über die Entlastung, die das Unterrichten in meiner Klasse bedeutete, und nahmen die Situation in den anderen Klassen als gegeben hin. Die Gruppe der Neider konnte und wollte nicht eingestehen, dass auch ich meinen Anteil an der Entwicklung hatte. Ich war für sie das Problem. Es ging ihnen offenbar nicht, so wie mir, darum, einen positiven Entwicklungsprozess zu initiieren und zu optimieren. Ich durfte keinen Erfolg haben, nicht irgendeinen Fortschritt für mich verbuchen. Also bemühte man den Zufall und das Glück. Es war schade, weil dadurch jede Möglichkeit der Zusammenarbeit, die zu noch wesentlich größerer Optimierung hätte führen können, unterblieb. Es ging nicht um mich, sondern um unsere Schüler. Neid verhinderte Zusammenarbeit, die Umsetzung von definierten Zielen und gemeinsame Erfolge, von synergetischen Prozessen und Lösungen gar nicht zu reden.
Dieses Sichzusammentun des konformistischen Mittelmaßes passiert nach meiner Erfahrung nicht einmal bewusst. Attacken wie die von Frau D. sind natürlich intendiert. Aber der Schwarm, der immer in die gleiche Richtung schwimmt, auch wenn sie sich plötzlich ändert, schwimmt einfach. Instinktiv erkennt sich
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