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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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das Mittelmaß und hält zusammen, auch und fast immer ohne Absprache. Im Referendariat hatte ich das bereits erfahren. Über mehr oder minder bewusste Verhinderungsstrategien dieser Art berichtete schon der Soziologe Max Weber in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Er beklagte, wie oft man das Mittelmaß an sich vorbeiziehen lassen müsse. Das Schwarmprinzip wirkt. Wenn ein Mittelmäßiger an die Schule kommt, integriert er sich ohne Probleme in den Schwarm und wird gleichzeitig integriert. Das hat schon etwas Unheimliches. Ein Nonkonformist schwimmt immer abseits oder upstream. Auch wenn er versucht, sich in den Schwarm einzureihen. Das war eine der interessantesten Beobachtungen in der Schule. Man wird instinktiv als anders wahrgenommen und bleibt draußen.
     
    Mit Vorgesetzten muss man Glück haben. Das gilt für jeden Betrieb und ist in der Schule nicht anders. Auch im Lehrbetrieb stinkt, wie gesagt, der Fisch vom Kopf her. In meiner Referendariatsschulehatte ich Glück. Wie beschrieben, war unser Chef ein Mann des alten Schlages: streng, gerecht, sehr diszipliniert und absolut integer. Es war für ihn selbstverständlich, alle seine Pflichten in der ihm eigenen akkuraten Art zu erfüllen. Er fehlte so gut wie nie und sein Credo war, dass Lehrer da sein, kompetent sein und belastbar sein müssen. Dieses Credo lebte er vor. Morgens war er der Erste in der Schule und er ging in der Regel als Letzter. Die größten Sorgen bereiteten ihm die Dauerkranken, die Stellen blockierten und bei denen nicht absehbar war, wie lange sie noch fehlen bzw. ob und wann sie sich aus Krankheitsgründen pensionieren lassen würden. Semesterkräfte zu bekommen war nicht einfach und die Organisation des Unterrichts mit knappen Ressourcen immer ein Problem. Sein zweitgrößtes Problem waren die Laissez-faire-Kollegen, die, meist seit zwanzig Jahren oder länger an derselben Schule tätig, zu jeder Unterrichtsstunde zehn Minuten zu spät kamen, die letzten fünf Minuten für Klassenbucheinträge nutzten und so die Dreiviertelstunde Unterricht auf eine halbe verkürzten. Wirklich etwas dagegen tun konnte er nicht; oder er tat es aus falsch verstandener Solidarität nicht, oder aus Mitleid, wie im Fall des unseligen Herrn W.
    Ich mochte meinen allerersten Chef in der Schule. Danach machte ich noch einmal mit einem sehr netten älteren Herrn Bekanntschaft, der mich an seiner Schule sehr freundlich aufnahm mit den Worten: »Ich bin froh, dass Sie da sind!« Eine Schulleiterin habe ich weder als besonders positiv, noch als negativ in meinem Gedächtnis gespeichert. Es war eine normale Schule mit einer normalen Direktorin. Alles lief ab, wie es immer abläuft: Routinemäßig. Schule wird verwaltet, Innovationen oder auch nur schlichte Veränderungen sind die Ausnahme. Hier konnte ich meine Recherche nicht weiterführen, geschweige denn zu einem validen Ergebnis bringen. Die Direktorin traf meine Absicht zu gehen mehr als ich erwartet hatte. Eine meiner wenigen Erinnerungen an sie ist, dass sie mich ganz erschrocken anschaute und mich fragte, ob es mir an ihrer Schule nicht gefalle. Sie tat mir leid, sie hatte mir nicht die geringste Bosheit zugefügt, sogar ab und zu gefragt, ob ich »zurechtkomme«. Wer jahrzehntelang eine Schule verwaltet hat und froh ist, dass er »zurechtkommt«, der versteht vielleicht nicht, dass einem der frische Wind fehlt,der um die Nase weht: neue Unterrichtsformen, -methoden, die Beschäftigung mit innovativen theoretischen Ansätzen des Lernens und Lehrens, die Erprobung ihrer Umsetzung, die Evaluation, der daraus folgende Entwicklungsprozess, persönlich und unterrichtsbezogen. Ich musste weiter und konnte ihr nicht erklären, warum. Ihr Gesichtsausdruck sagte: »Sei doch froh! Du hast hier alles, was du brauchst.« Sie war sehr nett beim Abschied, lächelte mich an und wünschte mir alles Gute.
    Inzwischen hatte mein geplantes Projekt konkretere Formen angenommen. Als ich die Direktorin einer anderen Schule fragte, ob und wie es möglich sei, einige Jahre (so lange würde ich für die Erprobung meines Konzepts brauchen) an der Schule zu bleiben, war sie sehr ungnädig. Ich war als Vertretung für eine seit längerer Zeit erkrankte Kollegin eingestellt worden, wusste nicht, wann sie wieder Unterricht erteilen würde, hatte aber Informationen, dass es Vakanzen in vielen Bereichen gab. Die Direktorin drehte sich auf dem Absatz herum und sagte: »Ein Jahr sind Sie jetzt hier? Ein halbes Jahr ist bei uns schon

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