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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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gesamten Gesprächs zurück. Vielleicht brauchte R. aber auch einfach Verstärkung nach dieser herben Niederlage und vor allem nach der Blöße, die ihm die Aufklärung des Sachverhalts gegeben hatte. Seine Inkompetenz war allzu deutlich geworden   – und dann auch noch in dem Bereich, in dem er glänzen zu können glaubte. Es war peinlich. Also griff er mich an. Er warf mir vor, ihn übergangen, den Dienstweg nicht eingehalten und gleich beim Ministerium nachgefragt zu haben. Dies sei weder üblich noch zu tolerieren. Natürlich hielt ich dagegen. Schließlich hatte er durch sein Verhalten dem Schüler gegenüber und die mir erteilte falsche Auskunft die ganze Angelegenheit erst ins Rollen gebracht. Am Ende blieb für ihn, die Anweisung des Ministeriums auszuführen und zwar ab sofort. Ich fand, dass er Glück gehabt hatte. Wäre die Sache weiterverfolgt worden, hätte das vielleicht nicht nur die Konsequenz der nachträglichen Berichtigung der Durchschnittsnoten mehrerer Schülerjahrgänge nach sich gezogen, sondern es hätten auch noch disziplinarrechtliche Folgen für ihn entstehen können.
    Selbstständigkeit und wirkliche innere Unabhängigkeit sind in der Schule rare Güter. Besonders führungsschwache Vorgesetzte mögen und fördern Kollegen, die ihre (vermeintliche) Autorität nicht nur kritiklos anerkennen, sondern dies auch durch Worte und Taten bezeugen. In einer meiner Schulen brauchte die Fachleiterin in jeder ihrer Fachkonferenzen die Anwesenheit und insbesondere den Schutz des Direktors. Er leitete häufig für sie diese Konferenzen, nahm ihr ihre Arbeit, für die sie bezahlt wurde, ab und genoss ihre Bewunderung. Dabei gab es längst nicht einmal in jedem Semester eines dieser Informations- und Austauschtreffen für Fachkollegen. Diese Tatsache wurde nie gerügt. Der Preis für die angstgeleitete Aussetzung der Konferenzen und die Abgabe der Konferenzleitung war Gehorsam. Ich hörte ab und zu zufällig im Lehrerzimmer Gespräche zwischen Fachleiterin und Direktor, die nach dem Schema »Was soll ich tun?« begannen. Die Antworten im Militärjargon   – »Bei XY anrufen, auf dem Laufenden bleiben, mich informieren!«   – wurden dankbar angenommen, die Vorgaben genau befolgt und Bericht erstattet. WeitereAnweisungen folgten, wurden befolgt usw. usw. Man(n) oder Frau wusste sich partout keinen Rat, selbstständiges Handeln war die Ausnahme. Einigen Schulleitungen kam das entgegen, werteten sie doch jedes auf effektive Problemlösung ausgerichtete Verhalten als Nichteinhaltung des Dienstweges, ein Vergehen, das, wie ich in der Schule rasch lernte, ein Sakrileg bedeutete. Es war eine heimliche Form der Kontrolle, die in eine offene überging, wenn man sich widersetzte. Und das bei Menschen, die in der Lage sein sollten, anderen Selbstständigkeit vorzuleben. Manchmal argwöhnte ich, dass in der Schule das Erziehungspostulat deshalb so hoch gehalten wird, weil Vorleben als einzig mögliche Prämisse der Lehr(er)tätigkeit offenbar sehr schwierig ist.
    Eine interessante Episode war exemplarisch für viele meiner Schulerlebnisse. Ein Kollege hatte sich einem Vater gegenüber am Telefon zu den schlechten Schulleistungen seines Sohnes geäußert. Vater und Sohn lebten getrennt, der Fall war verzwickt, weil der Vater sich weigerte, seinem Sohn trotz seiner schlechten Leistungen weiterhin monatlich Geld zu zahlen. Für den Sohn ging es um den Verbleib an der Schule. Der Fall wurde Konferenzthema. Der Klassenleiter des betreffenden Schülers wollte wissen, wie der Kollege zu dieser Äußerung gekommen sei, denn der Sohn sei bereits volljährig. Der Kollege, der die fatalen Auskünfte dem Vater gegenüber am Telefon gegeben hatte, verteidigte sich vehement. Er habe die Bewertung des Schülers nur im Hinblick auf seine eigenen Fächer vorgenommen und nicht als Gesamteinschätzung verstanden wissen wollen. Darauf hingewiesen, dass er dem Vater die Auskunft gar nicht hätte geben dürfen, stritt er das konsequent ab. Sogar ein Originalzitat des entsprechenden Paragrafen bewegte ihn nicht dazu einzulenken. Stattdessen wurde er ständig aggressiver. Je mehr Kollegen ihn zur Einsicht zu bewegen versuchten, desto uneinsichtiger wurde er. Wenn er Vater wäre, beharrte er, dann hätte er auch ein Interesse daran zu erfahren, wie sein Sohn in der Schule stehe, wie er sich verhalte usw. Er betrachte das als das gute Recht aller Eltern und werde auch weiterhin so verfahren!
    Erst an dieser Stelle und nach über einer

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