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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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Arbeitsatmosphäre seinen Dienst versieht oder versehen muss, welche Schulleitung Schule in welcher Form gestaltet, entscheidet über die Zukunft junger Menschen.
    R.s Vorliebe für das Schulrecht war so ausgeprägt, dass ich argwöhnte, er habe in seiner langen Laufbahn oft davon Gebrauch machen müssen. Auch und besonders auf Konferenzen stellte er ausführlich seine diesbezüglichen Kenntnisse dar. Um so erstaunlicher war deshalb für mich ein Erlebnis der besonderen Art, das R.s relative Unkenntnis bzw. Unbedarftheit in Sachen Schulrecht unter Beweis stellte.
    Einer meiner Schüler kam am Ende des Abschlussjahres auf mich zu und fragte nach der Gewichtung seiner Noten in den einzelnen Fächern bezüglich der Errechnung der Durchschnittsnote für sein Abschlusszeugnis. Für ihn war diese Information sehr wichtig, weil er ein Numerus-Clausus-Fach studieren wollte. Von der Schulleitung hatte er die Auskunft bekommen, dass sowohl die Noten in den theoretischen als auch in den Praktikumsfächern für die Durchschnittsnote von Belang seien 5 . Zudem wurde die Durchschnittsnote bis dahin nicht auf dem Abschlusszeugnis ausgewiesen, sondern auf einem Formular und das auch nur auf Verlangen. Der Schüler war nicht nur skeptisch, ob diese Regelung erlaubt sei, sondern auch verzweifelt, denn während er im theoretischen Bereich keine Schwierigkeiten hatte, lagen in den praktischen Fächern seine Schwächen. Unter anderem deswegen wollte er studieren. Das war, wie ich fand, für ihn der richtige Weg.
    Unabhängig von diesem speziellen Fall kam mir die geltende Regelung mehr als merkwürdig vor. Hatte nicht jeder Schülera priori das Recht auf die Berechnung seiner Durchschnittsnote und deren Vermerk auf seinem Abschlusszeugnis? Mir war schleierhaft, wieso unsere Schule von dieser gängigen Regelung abwich. Von mir daraufhin angesprochen, wirkte unser Schulleiter unsicher. Die bisherige Gewichtung der Fächer hielt er für absolut in Ordnung, argwöhnte jedoch, ob Fächer wie politische Wissenschaft,die für den beruflichen Abschluss ohnehin ohne Belang seien, tatsächlich für die Durchschnittsnote zählten.
    Diese unbefriedigende Auskunft veranlasste mich, selbst im Ministerium anzurufen. Es dauerte eine Weile, bis ich die zuständigen Beamten und danach ihre Vorgesetzten ans Telefon bekam. Die Auskunft jedoch war eindeutig: Selbstverständlich hatten unsere Schüler, wie alle anderen auch, das Recht auf die Berechnung ihrer Durchschnittsnote, die auf dem Abschlusszeugnis auszuweisen war. Und dies bereits seit Jahren! Es war einfach versäumt worden, das zu tun, und niemand, nicht einmal unser schulrechtsversierter Direktor, hatte es bemerkt   – oder nicht moniert. Der Leitende Beamte war sicher, dass sein diesbezügliches Schreiben an die Schulleitungen klar formuliert sei. Eine Sonderregelung für unsere Schule sei ihm nicht bekannt. Noch schlimmer war die Erkenntnis bezüglich der Gewichtung der Noten. Hier galt die verbindliche Regelung, dass für die Errechnung der Durchschnittsnote das arithmetische Mittel der Noten in den allgemeinbildenden und in den theoretischen Fächern des berufsbezogenen Lernbereichs gebildet werden musste. Die Noten in den Praktikumsfächern seien für die Bildung der Durchschnittsnote nicht relevant. Das war in allem das Gegenteil dessen, was in unserer Schule über Jahre hinweg praktiziert worden war; und das bedeutete, dass für die betroffenen Schüler ihre Durchschnittsnote falsch, ob nun zu ihren Gunsten oder Ungunsten, errechnet worden war.
    Der Leitende Beamte versprach, sich mit der Schulleitung in Verbindung zu setzen. Ich schrieb dem Klassensprecher meiner Klasse eine Mail, in der ich ihn bat, sie an alle Schüler unserer Klasse weiterzuleiten. Die meisten Schüler aus meiner Klasse wollten studieren und die Auskunft aus dem Ministerium war für sie von großem Belang. So manch einer hätte nach der bisher praktizierten alten Regelung mindestens ein Jahr warten müssen, bis er den ersehnten Studienplatz bekommen hätte. Und denjenigen, die in den praktischen Fächern gut waren, war die Durchschnittsnote nicht so wichtig, denn sie bewarben sich in der Regel sofort um eine Stelle und ihre zukünftigen Arbeitgeber interessierte weniger die Durchschnittsnote als die Praxiskompetenz ihrer Mitarbeiter.
    Einige Tage danach bestellte R. mich ein. Als Zeugen hatte er einen der Fachbereichsleiter beordert. Ihm war die ganze Sache offensichtlich peinlich, und er hielt sich während des

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