Schule versagt
halben Stunde Diskussion schaltete sich der bis dahin bemerkenswert zurückhaltende Schulleiter ein. Er hatte den echauffierten Kollegen bis dahin mitväterlicher Besorgnis angesehen und wirkte, als suche er nach der Antwort auf die Frage »Wie sag ich’s meinem Kinde?« Schließlich sagte er sanft: »Das Schulrecht sieht tatsächlich vor, dass wir als Institution Schule den Eltern volljähriger Schüler keinerlei Auskunft geben dürfen. Das solltest du in Zukunft nicht mehr tun.« Der Kollege wurde rot, änderte seinen Gesichtsausdruck von einer Sekunde auf die andere und sagte, wieder ganz friedlich und völlig ergeben: »Wenn du mir das sagst, dann ist das in Ordnung, dann mache ich das.« Damit war die Sache erledigt.
Ich habe mich in der Schule oft gefragt, ob einige Karrieren dort nach dem Peter-Prinzip 6 abgelaufen waren. Im Laufe der Zeit kam ich nicht umhin, die Frage mit Ja zu beantworten. In der Schule gibt es klassische Peter-Prinzip-Karrieren. Zum Beispiel muss ein guter Lehrer kein guter Fachleiter sein, ein guter Fachleiter kein guter Schulleiter. Eine Voraussetzung für den Aufstieg ist in der Regel, dass der jeweilige Mitarbeiter in der Unternehmens- bzw. in der Schulstruktur funktioniert hat, denn nur in diesem Fall kann ein »Aufstieg bis zur Unfähigkeit« erfolgen. Einige der untergeordneten Mitarbeiter leiden unter der Unfähigkeit ihres Chefs, aber niemand kann mehr etwas dagegen tun, schon gar nicht in unbeweglichen bürokratischen Strukturen wie Ämtern oder Schulen. Andere passen sich an, wählen den Weg des Konformismus, werden dafür selbst belohnt und steigen ihrerseits auf. Dass dieses Prinzip nicht für die Informations- und Wissensgesellschaft taugt, die ganz andere Skills verlangt, liegt auf der Hand.
V. Innovationsversuche im bestehenden System
Ich brauche die Gelassenheit, Dinge zu akzeptieren,
die ich nicht ändern kann.
Ich brauche den Mut, Dinge zu verändern,
die ich verändern kann.
Und ich brauche die Weisheit,
beides voneinander zu unterscheiden!
Frei nach einem amerikanischen Pilgerspruch
Wenn ich aus dem Referendariat überhaupt eine konstruktive Idee mitgenommen hatte, dann die der Handlungsorientierung. Für mein Zweites Staatsexamen hatte ich eine Unterrichtseinheit darauf basierend konzipiert, durchgeführt und in meiner schriftlichen Arbeit analysiert. Das schien mir das bei Weitem Sinnvollste zu sein, was ich aus dem Referendariat in fachlicher Hinsicht machen konnte.
Handlungsorientiertes Lernen ist ganzheitliches Lernen, Lernen mit allen Sinnen, unter Einsatz des Intellekts und der Emotionen. Es soll die gesamte Persönlichkeit erfassen und umfassen. Es ist produktionsorientiert, während des Lernprozesses wird aktiv gehandelt. Im Deutschunterricht kann man dazu Übungen machen, indem man z. B. den Anfang eines Romans in der Hörfassung einspielt und die Schüler den Plot weiterführen lässt. Sie konzipieren die Handlung des Romans, präsentieren ihr Ergebnis und begründen ihre kreative Arbeit. Am Ende eines solchen Lernprozesses standen oft ausformulierte Sequenzen neben dem darstellenden Teil der Fortführung der Handlung. Diese schülerorientierte bzw. schüleraktive Methode bezieht logisches Denken ein; man muss sich Gedanken darüber machen, wie eine folgerichtige Fortführung der Handlung aussehen könnte, und man muss diese Gedanken ausformuliert zu Papier bringen, sodass sie später vortragsreif sind. Gefühle, das Sich-Einfühlen in Personen und Konflikte, Situationen und gesellschaftliche Verhältnisse der Entstehungszeit bzw. der Spielzeit des Romans sind unabdingbar. Wenn man diese Übungen fortsetzt und ganze Szenen schreiben lässt, müssen die Schüler die Personen vor ihrem geistigen Augesehen, sie reden hören, die Atmosphäre des Dialogs und der Handlung spüren.
Handlungsorientierung beinhaltet fächerübergreifendes Lernen, denn es ist problemorientiert. Wenn ich das Werk eines Autors verstehen möchte, muss ich die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen er seine Arbeit machte, verstehen. Die Zensur des Dritten Reichs, die Ausgrenzung der nicht systemkonformen Schriftsteller, das Auswahlverfahren der Reichsschrifttumskammer sind Beispiele für extreme Arbeitsbedingungen. Die Untersuchung der politischen Verhältnisse ist ein wesentlicher Bestandteil jeder Interpretation und Analyse von Literatur. Ich habe in meinem Unterricht oft beide Fächer »gemischt«. Fächerübergreifender Unterricht bewirkte eine Lockerung
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