Schule versagt
einer Methode zu sehen, wäre fatal. Man bleibt an der Oberfläche, auf der Verhaltensebene, und dringt nicht bis in die tieferen Schichten, also in die Motivationsebene, vor. Viele Lehrer sind mit dieser Problematik schlicht überfordert. Ein weiteres Beispiel dafür, dass eine bloße Veränderung der Unterrichtsmethode nichts bewirkt, wenn nicht eine Lehrerpersönlichkeit dahintersteht, die diesen Namen verdient.
Die Lernziele von Handlungsorientierung beinhalten Skills wie Selbstständigkeit, Team- und Methodenkompetenz, Kommunikationsfähigkeit, Problemlösungsvermögen und Eigenverantwortung. Handlungsorientiertes Lernen in der Schule, so wie sie heute ist, bleibt auf Unterricht ausgerichtet, wird nur am Unterrichtsstoff erprobt und damit von der Realität entfernt. Auch »Handlungsorientierung« bleibt in der Schule stecken. Ich musste froh sein, wenn ich eine Schule fand, in der ich überhaupt irgendeine Innovation, die in diese produktive Richtung ging, umsetzen konnte. Ich brauchte tatsächlich einige Zeit, um eine geeignete Schule zu finden und nutzte sie, um meine Konzeptidee über die bloße Handlungsorientierung hinaus zu erweitern und zu vertiefen. Proaktivität als Schlüsselbegriff schien mir geeigneter, weil wesentlich umfassender als Handlungsorientierung. Die Entwicklung der Schülerpersönlichkeit auf dieses Ziel hin, auf der Grundlage des Servant Leadership 1 von Lehrerseite, stand im Mittelpunkt meiner Überlegungen. Hinzukommen musste die Orientierung auf größtmögliche innere Unabhängigkeit, gepaart mit der Fähigkeit zur Interdependenz, beides Grundlagen eines ganzheitlichen Ansatzes und mit dem Begriff Entrepreneurship 2 treffend umschrieben.
Die Verhältnisse, die ich in dieser Schule in Bezug auf Unterricht, Kollegen und Schulleitung vorfand, waren nicht besser alsdie in anderen Schulen. Aber es herrschte, das war einer meiner ersten Eindrücke, eine Atmosphäre relativer Ungebundenheit. Man hatte pädagogischen Freiraum, mehr als üblich. Hier musste ich es versuchen! Obwohl die Klassen von dreißig Schülern, in die ich geschickt wurde, um ihnen Kenntnisse in politischer Bildung und deutscher Sprache und Literatur zu vermitteln, chaotisch waren, laut, undiszipliniert und in Bezug auf allgemeinbildende Fächer eher ignorant. Aber dieser Zustand forderte mich auch heraus. Er schrie nach Veränderung. Ich wollte wissen, was ich bewirken und ob und inwieweit ich eingefahrene Strukturen für mein Vorhaben verändern konnte.
Wie es oft im Leben der Fall ist, kam mir ein Zufall entgegen. Aus den miserablen Ergebnissen der PIS A-Studie sollten Lehren gezogen werden. Eine Folge dieser segensreichen Erhebung war, dass vom Ministerium das »Projekt Pädagogische Schulentwicklung« 3 , kurz PSE, ins Leben gerufen wurde. Der neue Pädagogikguru der Endneunziger und des 21. Jahrhunderts, Heinz Klippert, hatte die theoretische Vorarbeit nebst praktischer Vorschläge für die Umsetzung im Unterricht geleistet. 4 Einige Schulen waren in den Modellversuch aufgenommen worden, die Warteliste war lang. Vom Ministerium waren Millionen Euro in das Projekt investiert worden, insbesondere für die Lehrer, die als sogenannte »Trainer« ihr Wissen an die Kollegen weitergeben sollten. Auf diese Weise sollte sich PSE über das ganze Land verbreiten. PSE meint den Abschied vom Frontalunterricht. Die Schüler sollen ins Zentrum des Unterrichtsgeschehens rücken. Sie eignen sich ihr Wissen weitgehend selbstständig an, visualisieren und präsentieren es. Aufgabe der Lehrer ist dabei das Bereitstellen des von Klippert entwickelten speziellen Lernmaterials und das Moderieren der Gruppenarbeit der Schüler. Auch bei uns herrschte Aufbruchstimmung bei einigen Kollegen. In einem der Fachbereiche, in denen ich arbeitete, waren diese Kollegen zu Hause und der Fachbereichsleiter zog mit ihnen am selben Strang. Das war meine Chance. Ich konnte, unter dem allumfassenden Deckel PSE, mein Konzept erproben
und
Beobachtungen dazu machen, wie Lehrer mit neuen Situationen, Methoden und Anforderungen umgingen. Die Zeitungen waren voll von PSE. Wir waren im Trend, ich brauchte also keine Überzeugungsarbeit zu leisten, der Weg warbereitet. Einige Kollegen waren ganz wild aufs »Klippern«, wie sie die Anwendung der Methoden von Heinz Klippert nannten, lasen sämtliche Bücher von ihm und legten »Klippert-Ordner« an. Das erinnerte mich ans Referendariat. Die Gurus wechseln, die Mentalität ihrer Anhänger nicht. Ich war
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