Schule versagt
der strengen Einteilung in Fächer. Im Normalfall bekommt ein Schüler pro Tag sechs bis sieben Schubladenfächer eines Unterrichtsschranks geöffnet, in denen völlig unterschiedliche Inhalte zu finden sind. Nach 45 Minuten wird ein Schubfach vollständig geschlossen, dann das nächste geöffnet, wieder geschlossen usw. Eine Verbindung gibt es nicht. Welch eine Verwirrung und mangelnde Verknüpfung in den Köpfen.
Leider konnte ich diese Situation für meine Schüler nicht wirklich konstruktiv verändern. Dass wir uns einen Vormittag lang der Lösung eines Problems, der Untersuchung eines Konflikts hätten widmen können – es war nicht möglich, die Struktur von Schule in dieser Weise zu verbessern. Was uns gelang, war das Zuschneiden der beiden Fächer, die ich unterrichtete, auf unsere Thematik. Als wir die ›Antigone‹ des Sophokles lasen, nahmen wir uns mehr Zeit für den Deutschunterricht. Da wir den Transfer des Werkes in die Gegenwart leisteten, waren politische Wissenschaft und Deutsch in diesem Fall sowieso ein und dasselbe »Fach«. Das Grundproblem des Antigone-Stoffes, der Konflikt zwischen dem Gehorsam gegenüber der Staatsraison und dem eigenen Gewissen, ist ein hochpolitisches und hochaktuelles Thema. Beide »Fächer« waren automatisch involviert. Auf diese Weise ging der Antigone-Stoff in einer Tiefe in das Bewusstsein meiner Schüler ein, wie ich es danach nie wieder erlebt habe. Heute noch, nach Jahren und beim Schreiben des Manuskripts, spüre ich den Geist unserer konstruktiven Zusammenarbeit, die auch ein Stück weit davon lebte, dasswir versuchten, unseren eigenen Weg auch in Bezug auf das Ziel unseres Unterrichts zu gehen. Es ging darum, den klassischen Konflikt, in dem Antigone sich befand, zu verstehen und zu begreifen, dass solch ein Konflikt zeitlos ist. Meine Schüler fanden viele Beispiele in der neueren Geschichte und in der Gegenwart für diese Problematik. Sie hatten den Konflikt wirklich verstanden. Das war so ungeheuer viel! Lehrer in der ehemaligen DDR haben den Konflikt durchgemacht, als sie ihren Schülern die SE D-Version der Montagsdemonstrationen, angewiesen von ihren Schulleitungen, vermitteln sollten. Teilweise hatten sie selbst an diesen Demonstrationen teilgenommen, und einige dieser Mutigen folgten ihrem Gewissen und stellten die offizielle Version als solche dar, betonten aber, dass sie sich von ihrer eigenen Sicht der aktuellen politischen Prozesse grundsätzlich unterscheide. Für meine Schüler resultierte daraus auch, dass sie wussten: Wir alle, also auch sie selbst, konnten von der Antigone-Situation betroffen sein. Unterrichtsinhalte wurden zur Erkenntnis.
Handlungsorientierung ist teamorientiert. Häufig können Probleme nur im Team effektiv gelöst werden. Unterschiedliche Varianten sind denkbar. Es gibt die Möglichkeit der Einzelarbeiten, die dann in Teamarbeit zusammengeführt und sinnvoll kombiniert werden. Oder man arbeitet im Team von Beginn an. Allerdings habe ich diese Ausrichtung des handlungsorientierten Lernens immer locker gesehen. Teamorientiertes Lernen war genauso oft vertreten wie individuelle Leistungen. Ich habe mich mit meinen Schülern abgestimmt darüber, wie wir ein Problem am besten lösen könnten, und daraus ergab sich das weitere Verfahren. Wir machten die Methode nicht zum Dogma, sondern richteten sie an der Art der zu lösenden Aufgabe aus. Ein »Man macht das aber so, wenn man handlungsorientiert sein will« gab es nicht.
Ob im Team oder nicht, Handlungsorientierung meint einen demokratisch organisierten Lernprozess ohne zu viele Vorgaben von Lehrerseite. Kompromiss als Zauberformel für das Funktionieren jedes demokratischen Systems wird hier in konkreten Abläufen eingeübt. Das ist einer der am schwierigsten einzulösenden Ansprüche des Konzepts. Eine Gemeinschaft, und sei sie auch noch so klein, demokratisch zu organisieren, ist in der Schule die Ausnahme. Zu oft greifen gruppendynamische Prozesse als heimlicherLehrplan in die guten Vorsätze ein. Diese Prozesse werden häufig nicht einmal bemerkt. Es wird an der Oberfläche ein Konsens hergestellt, der nicht trägt. Beim ersten Gruppenkonflikt kommt zutage, was verdeckt geblieben war, solange man nicht zusammenarbeiten musste. Deshalb ist die Ausrichtung an selbst verfassten Regeln der Kommunikation und des Umgangs miteinander so wichtig. Und diese Regeln müssen täglich gelebt, vor allem vom Lehrer vorgelebt werden. Demokratische Orientierung als bloßen Teil
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