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Schumacher, Jens - Deep

Schumacher, Jens - Deep

Titel: Schumacher, Jens - Deep Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Schumacher
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genau zu wissen, in welcher Richtung sich das Wrack befand. Henry folgte ihm.
    Bei den ersten Schritten, die ihn von der Bodenplatte auf den rauen, von Muscheln und Korallen bedeckten Meeresgrund führten, war er noch überrascht, wie leicht sich der klobige Anzug unter Wasser manövrieren ließ. Der Widerstand der Glieder und Gelenke war nicht viel höher als im Trockenen.
    Ein Dutzend Meter weiter jedoch war Henrys Freude wieder verflogen. Der erste Schritt mochte nicht übermäßig kräftezehrend sein, der zweite und der dritte auch noch nicht. Doch rasch merkte er, wie sehr es an die Substanz ging, immer wieder gegen die schweren Öldichtungen andrücken zu müssen, dabei mit den zentnerschweren Armen die Balance haltend, um auf dem unebenen, stetig ansteigenden Grund nicht zu straucheln. Hinzu kam das Gewicht des Kabels, das den Anzug mit dem Habitat verband. Mit jedem Meter, den es sich hinter ihm abrollte, wuchs das Gewicht, das er mitziehen musste.
    Binnen Minuten keuchte Henry wie ein Marathonläufer kurz vor dem Ziel. Schweiß rann ihm von der Stirn in die Augen, sein Körper klebte an der glatten Innenpolsterung. Keuchend regelte er die Anzugheizung wieder herunter. Und das Ziel des Marsches war noch nicht einmal zu sehen!
    Die Scheinwerfer an den Seiten des vorderen Helmfensters erhellten die diesig-blaue Finsternis rund zwanzig Meter weit. Das U-Boot lag, wie Henry wusste, mehrere Hundert Meter vom Habitat entfernt. Die Distanz musste eine Vorsichtsmaßnahme sein, damit das Habitat beim Herablassen nicht unbeabsichtigt von einer Strömung gegen das Wrack geschoben wurde.
    Ein lautes Krachen der Helmlautsprecher riss Henry aus seinen Gedanken.
    »Ottenthal?«, keifte eine unsympathische Stimme unmittelbar an seinen Ohren. Sie war von Rauschen und Störgeräuschen überlagert, doch Henry erkannte sie trotzdem. Es war Professor Hauschildt.
    »Ottenthal, hören Sie mich?«
    Es knackste erneut, dann antwortete eine andere, noch schlechter zu verstehende Stimme: »Höre, Chef. Alle Systeme arbeiten fehlerfrei. Entfernung zum Zielobjekt noch etwa hundertachtzig.«
    »Ausgezeichnet«, freute sich Hauschildt. »Auch bei Ihnen alles klar, Stocker?«
    Zwei Herzschläge vergingen, bevor Henry begriff, dass er ja die Rolle von Stocker übernommen hatte. Rasch betätigte er die Sprechtaste des Interkom und grunzte so kehlig wie möglich: »Alles okay!« Er hoffte inständig, dass Hauschildt im Kontrollraum nicht bemerken würde, dass es sich um eine fremde Stimme handelte.
    Er hatte Glück.
    »Exzellent. Ich verfolge euren Fortschritt über die Helm- und Mobilkameras. Instruktionen folgen, sobald ihr das Zielobjekt erreicht und eure Position für Operation Schatzkästchen eingenommen habt.«
    »Verstanden«, krächzte Ottenthal und unterbrach die Verbindung.
    Verbissen kämpfte Henry sich vorwärts, bemüht, den Abstand zu seinem Vordermann nicht größer als fünf oder sechs Meter werden zu lassen. Doch das war leichter gesagt als getan. Dr. Dettweiler hatte nicht gelogen, was Ottenthals Spezialausbildung anging. Souverän und scheinbar ohne Mühe walzte er in seiner Rüstung voran.
    Nachdem Henry ihn eine Weile im Licht der Helmscheinwerfer beobachtet hatte, fiel ihm auf, wie eigenartig der Profi sich beim Laufen bewegte: Er hob die Beine nicht vollständig vom Boden, so wie Henry, sondern schob sie mit abwechselnden Rechts- und Linksdrehungen dicht über dem Grund vorwärts. Das sah zwar nicht elegant aus, ein bisschen wie das Watscheln einer Ente, doch als Henry es ebenfalls ausprobierte, stellte er fest, dass diese Gangart deutlich weniger kräfteraubend war. Zudem kam man schneller voran.
    Das änderte leider nichts daran, dass die Strecke zum Wrack eine Schinderei war. Eigentlich liebte Henry das Meer, und unter anderen Umständen wäre er zweifellos begeistert gewesen, sich vierhundert Meter unter dem Wasserspiegel frei bewegen zu können. Jetzt dagegen, um Atem ringend, den Geruch seines eigenen Schweißes in der Nase, mit einem Mitarbeiter Hauschildts als einzigem Begleiter, hielt sich seine Euphorie in Grenzen. Als er aus dem Augenwinkel einen Barsch von der Größe eines Schweins an seinem linken Helmfenster vorüberschwimmen sah, drehte er nicht einmal den Kopf.
    Nach einer Zeitspanne, die Henry wie eine Ewigkeit vorkam, blieb Ottenthal plötzlich stehen. Überrascht stellte Henry fest, dass kaum einen Steinwurf vor ihnen eine mächtige, graue Wand aufgetaucht war – die U-196 .
    Vom Meeresboden aus

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