Schumacher, Jens - Deep

überlegte er, ob er eingreifen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Das Schott konnte sich nach siebzig Jahren im Salzwasser unmöglich noch auf normalem Wege öffnen lassen.
    Seine Vermutung erwies sich als korrekt. Nachdem Ottenthal eine ganze Weile an der Luke herumgefuhrwerkt hatte, richtete er sich wieder auf. »Plan eins, Zugang mittels gewaltloser Öffnung, fehlgeschlagen«, verkündete er. »Gehe über zu Plan zwei.«
    Er führte die Greifer vor die Brust seines Anzugs. Jetzt erst fiel Henry auf, dass dort ein armdicker, länglicher Gegenstand eingeklinkt war, der auf den ersten Blick wie ein Lasergewehr aus einem Star Wars-Film aussah. Der vordere Teil bestand aus gelochtem Stahl, dahinter folgte ein senkrecht nach unten abstehender Handgriff, bevor das Gebilde in einem stählernen T auslief. Ein Schlauch verband das hintere Ende mit dem eckig ausgeformten Rückentank von Ottenthals Anzug.
    Für einen Moment war Henry irritiert. Sollte er ebenfalls so ein Gerät dabeihaben? Würde seine Tarnung jetzt auffliegen, weil er versäumt hatte, sich in der Schleusenkammer mit einem zu versorgen?
    Doch offenbar war dieser Teil der Ausrüstung nur für Ottenthal vorgesehen. Der Mann packte das Gebilde mit den Greifern, wobei er das gelochte Ende vom Körper fort und leicht in die Höhe richtete. Dann drehte er sich um neunzig Grad und wandte Henry die Rückseite seiner Montur zu.
    Als Henry nicht reagierte, ertönte Ottenthals Stimme in seinem Helm: »Gib mir Feuer!«
    Erschrocken ließ Henry das Licht seiner Strahler über die Instrumente gleiten, deren Knöpfe und Schildchen ihm nicht das Geringste sagten. Schweißperlen traten auf seine Stirn, sein Blick schweifte panisch über die Bedieneinrichtungen.
    »Wird’s bald, du Penner? Nun zünde schon!«
    Henry erblickte einen Taster mit der Aufschrift I GNITION . Er war so erleichtert, dass er für einen Augenblick völlig seine Aufgabe vergaß, die Öffnung des Wracks so lange wie möglich hinauszuzögern. Ohne nachzudenken drückte er darauf.
    Am vorderen Ende der Stahllanze flammte ein gleißender Blitz auf. Nun endlich begriff Henry, worum es sich handelte: Ottenthal hatte ein Unterwasserschweißgerät mitgebracht. Und wie es aussah, ein ziemlich modernes. Plan zwei sah demnach vor, die Luke aufzuschneiden.
    Ottenthal regelte die Größe der Plasmaflamme auf Handspannenlänge herunter. Im Gegensatz zur Aktivierung des Geräts, die offenbar aus Sicherheitsgründen ein zweiter Mann vornehmen musste, ließ sich die Gaszufuhr an der Lanze selbst verstellen.
    Verdampfendes Wasser stieg sprudelnd von der Spitze des Schweißgeräts in die Höhe. Henry bildete sich ein, das Brodeln bis in seinen Helm hinein zu hören.
    Ottenthal drehte sich wieder um. »Los geht’s. Du trittst besser einen Schritt zurück, wenn du nicht willst, dass ich dir die Zehen absenge.« Er machte einen steifen Schritt auf die Hauptluke zu. leb muss etwas unternehmen, schrie es in Henry. Da drangen plötzlich andere Geräusche an seine Ohren – rhythmische, dumpfe Schläge.
    Sie kamen aus dem Innern des U-Boots.

33
     
    UNTERWASSERHABITAT NEUSCHWABENLAND,
    27. SEPTEMBER 2013, 23:33 UHR
     
    »Der Kerl hat sein Schweißgerät aktiviert.« McKenzies Blick klebte an einem Monitor im oberen Drittel der Kontrollwand. »Allmählich muss Henry sich etwas einfallen lassen, sonst ist die Luke in ein paar Minuten offen.«
    »Das wird er«, erklärte Becca zuversichtlich. »Vielleicht kann er das Gerät irgendwie funktionsuntüchtig machen. Bis der Taucher zurück im Habitat ist, um es reparieren zu lassen …«
    »Schscht!« Dr. Wilkins legte einen Zeigefinger vor die Lippen.
    »Sorry«, murmelte Becca etwas leiser. »Ich wollte nicht …«
    Wilkins’ hektisches Kopfschütteln ließ sie verstummen.
    »Was ist?«
    »Kroll«, stieß Dr. Wilkins zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Er ist verschwunden!«
    »Wie?« McKenzie richtete sich hinter der Tür auf, um seinen Blickradius durch das Fenster zu vergrößern. »Verdammt, du hast recht! Was bedeutet das?«
    »Vielleicht nichts«, gab Wilkins flüsternd zurück. »Möglicherweise hat er einfach anderswo im Habitat zu tun. Oder er ist aufs Klo. Es kann ein Dutzend Gründe geben.«
    »Bei der Operation Schatzkästchen kommt ihm jedenfalls keine tragende Funktion zu«, warf Dr. Dettweiler von der Seite ein.
    »Wie lange hat er den Kontrollraum bereits verlassen?«, wollte McKenzie wissen.
    Dr. Wilkins zuckte die Achseln. »Ich habe während