Schumacher, Jens - Deep
aber dumm war er deshalb noch längst nicht.
Und ein Feigling ebenso wenig!
Als sie abends zu ihrer Pension zurückkehrten, die nicht gerade im allerbesten Teil der Stadt lag, stellten sich ihnen unerwartet zwei junge Einheimische in den Weg. Zwar konnten Henry und Josh sie nicht verstehen, ihrem barschen Tonfall und ihrer Nervosität nach hatten sie es jedoch auf das Geld der beiden Ausländer abgesehen. Dieser Verdacht bestätigte sich, als einer der beiden plötzlich ein Messer zückte. Bevor Henry einen klaren Gedanken fassen konnte, war Josh bereits vorgesprungen und hatte dem Burschen einen Tritt vor die Brust verpasst. Mit einem geübten Ruck verdrehte er ihm den Arm und entwand ihm das Messer. Die beiden Möchtegern-Räuber starrten ihn einen Augenblick lang verdutzt an, dann ergriffen sie die Flucht.
Henry, der noch nie auf offener Straße überfallen worden war, bedankte sich stammelnd bei Taper, der ungewohnt bescheiden abwinkte. Offenbar war er ehrliches Lob nicht gewohnt.
Am folgenden Morgen machten sie sich nach dem Frühstück erneut zum Zollamt auf, wo sich herausstellte, dass Josh zwar eine gültige Vollmacht dabeihatte, es aber Probleme mit irgendwelchen anderen Dokumenten gab. Da es trotz der frühen Stunde bereits wahnsinnig voll am Hafen war, einigten sie sich darauf, dass Henry die Zeit anderswo totschlagen würde, statt sich auf den Wartebänken in der Eingangshalle zu langweilen. Längst hatte es über neunundzwanzig Grad, und um die Mittagszeit würde es bestimmt noch heißer werden. Daher beschloss Henry, einen Abstecher ans Meer zu unternehmen. Josh gab ihm das Quadband-Handy mit und versprach, sich zu melden, sobald alles geregelt war. Zur Sicherheit notierte sich Henry beim Hinausgehen die Rufnummer des Zollamts.
In der Nähe des Hafens gab es keinen Badestrand, also ließ sich Henry von einem Taxi zu einem Küstenabschnitt im Nordosten bringen. Der Strand sah hier zwar auch nicht gerade aus wie im Prospekt eines Reisebüros – ein gerade mal zwei Dutzend Meter breiter Streifen grau-schwarzen Vulkansands –, aber Henry wollte dem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen. Ein freier Tag am Meer war ein freier Tag am Meer.
An einer Bretterbude an der Hauptstraße besorgte er sich für ein paar Rupiahs eine Badehose, ein Strandtuch und etwas zu trinken, dann schlenderte er zum Wasser und machte es sich bequem.
All dies lag mittlerweile gut vier Stunden zurück, und mit Henrys Ruhe war es für den Augenblick vorbei. Er stand auf, schirmte die Augen gegen die hoch stehende Sonne ab und spähte erneut aufs Wasser hinaus.
Von dem Mädchen im schwarzen Badeanzug war nach wie vor nichts zu sehen. Zwar gab es in Strandnähe keine Felsen oder tückischen Strömungen, wie sein eigener Abstecher ins Wasser gezeigt hatte, aber ihr konnte etwas anderes passiert sein. Vielleicht hatte ihr Kreislauf schlapp gemacht, oder sie hatte im Wasser einen Schwächeanfall bekommen …
Henry musste nachsehen.
Als er sich gerade in Bewegung setzte, tauchte plötzlich etwas Rotes in der gischtenden Brandung auf. Ein Schnorchel! Augenblicke später erschien der Kopf des Mädchens, gefolgt von ihren Schultern, bis sich schließlich die vollständige Silhouette ihres schlanken Körpers vor dem tiefblauen Hintergrund abzeichnete.
Henry verglich ihre Position mit der Stelle, wo sie ins Wasser gegangen war. Sie hatte unter Wasser mindestens dreihundert Meter zurückgelegt! Nicht schlecht.
Als er erneut zu ihr hinübersah, hatte das Mädchen die Schwimmflossen ausgezogen und kam auf dem Weg zu ihrem Strandtuch und ihren Sachen direkt in Henrys Richtung. Rasch kehrte er zu seinem Badetuch zurück, ließ sich darauffallen und steckte seine Nase wieder in das Buch, das er ursprünglich für die Herfahrt eingesteckt hatte.
Die quietschenden Geräusche ihrer Schritte im Sand kamen näher, noch näher … und stoppten. Henry sah auf.
Das Mädchen stand kaum zwei Schritte von ihm entfernt, tropfnass, über das ganze Gesicht grinsend.
»Damit hast du nicht gerechnet, was? Dass ein Mädchen so tauchen kann?« Ihrer Aussprache nach schien sie Amerikanerin zu sein.
»Ich, also … hä?« Henry erwiderte ihren Blick verwirrt.
»Ich hab gesehen, wie du mich beobachtet hast!«
Henry ließ das Buch sinken und richtetet sich halb auf. »Ich? Dich beobachtet?« Er versuchte, empört zu klingen, merkte aber, dass es nicht sonderlich glaubwürdig klang.
Das Mädchen grinste erneut. »Ich bin nicht blöd, weißt du?«
Sie
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