Schumacher, Jens - Deep
Ruten neben sich in den Sand gesteckt, und warteten, dass ein Fisch anbiss. Doch selbst an einem voll besetzten Badestrand wäre sie Henry wahrscheinlich ins Auge gestochen. Erstens hatte sie eine ziemlich professionell aussehende Tauchausrüstung bei sich -Maske, Schnorchel sowie lange Profi-Flossen, mit denen man unter Wasser hohe Geschwindigkeiten erreichen konnte. Und zweitens sah sie mit ihrem knapp geschnittenen schwarzen Badeanzug, der braun gebrannten Haut und dem kastanienfarbenen Haar, das ihr fast bis zu den Hüften reichte, verflucht gut aus.
Betont beiläufig hatte Henry im Verlauf des Vormittags immer wieder von seinem Buch aufgesehen und einen Blick in ihre Richtung riskiert. Ebenso, als er von einer Runde Jogging am Ufer entlang zurückkam oder als er selbst eine Runde schwimmen ging.
Das Mädchen machte einen sportlichen Eindruck. Insgesamt viermal war sie mit ihrem Equipment bereits ins Wasser gegangen. Davor hatte sie jeweils ausgedehnte Stretchingübungen absolviert, wie Tauchlehrer sie empfahlen, um die Muskeln für die Anstrengungen in der Kälte aufzuwärmen. Anschließend war sie ins Wasser gestapft, hatte penibel ihre Maske mit Seewasser ausgespült, den Schnorchel justiert und war getaucht.
Sie blieb stets eine gute halbe Stunde im Wasser und legte während dieser Zeit beachtliche Entfernungen zurück. Dabei blieb das leuchtend rote Ende ihres Schnorchels allerdings zu jedem Zeitpunkt über den Wellen sichtbar. Oder es erschien, wenn sie einmal tiefer tauchte, nach maximal einer Minute wieder an der Oberfläche.
Wie lange war es her, seit das rote Plastikrohr zuletzt über Wasser zu sehen gewesen war? Zwei Minuten? Drei?
Den Tag am Strand hatte Henry Josh Taper zu verdanken. Bereits seit der Ankunft am Borobudur wartete das Team um seinen Vater auf zusätzliche wissenschaftliche Geräte, und am Tag nach Henrys Ankunft waren diese endlich geliefert worden -nach Cilacap, einer Hafenstadt an der Südküste Javas. Ein Weitertransport per Zug wäre höchst umständlich gewesen und darüber hinaus aufgrund des lückenhaften Bahnnetzes nicht ohne Gefahren. Taper hatte daraufhin angeboten, die rund fünfstündige Fahrt nach Cilacap mit dem Wagen anzutreten. Zwar war allen klar, dass er in erster Linie eine Ausrede suchte, um der Arbeit unter Tage für eine Weile zu entkommen, aber da sein Angebot Zeit und Geld zu sparen versprach, waren sowohl Henrys Vater als auch Dr. Weisman einverstanden.
Taper war allerdings nicht der Einzige, der die Aussicht auf einen Tagesausflug verlockend fand. Henry hatte sich zwischen all den Wissenschaftlern, die den ganzen Tag nichts anderes taten, als Schriftzeichen zu fotografieren, sie zu vermessen und über ihre neuesten Fotos und Messergebnisse zu diskutieren, nach kürzester Zeit zu langweilen begonnen. Dad und seine Kollegen schienen noch weit entfernt davon zu sein, den Inhalt der Schriftzeichen zu verstehen, und Henry hatte längst alles erkundet, was es rund um den Borobudur zu sehen gab. Das Hotel, in dem das Team untergebracht war, ein altmodischer Kasten ohne jeden Komfort, lag rund zwanzig Kilometer von der Tempelanlage entfernt und hatte weder Kabelfernsehen noch einen Fitnessraum zu bieten. Aus diesem Grund war Henry überglücklich, als sein Vater ihm erlaubte, Taper nach Cilacap zu begleiten.
Aufgrund der schlechten Straßen und des unzureichenden Kartenmaterials zog sich die Fahrt länger hin als gedacht. Henry machte das nichts aus. Er freute sich, auf diese Weise ein wenig von der Insel zu sehen zu bekommen, seien es die dschungelartigen Waldgebiete, die sie durchquerten, oder die kleinen Dörfer am Rand der Straße, die nicht selten hoffnungslos rückständig wirkten und ihm immer wieder vor Augen führten, wie weit er von zu Hause fort war.
Als sie Cilacap schließlich erreichten, war es früher Abend. Das Zollamt, wo Taper die Lieferung abholen sollte, hatte längst geschlossen. Nachdem der Doktorand über eines der Quadband-Handys, die die Wissenschaftler für den Einsatz im ziemlich löchrigen indonesischen Mobilfunknetz gekauft hatten, Rücksprache mit Dr. Wilkins gehalten hatte, mietete er für sich und Henry ein Zimmer in einer kleinen Pension in der Nähe des Hafens. Den Rest des Tages verbrachten sie damit, ein akzeptables Restaurant zu suchen und anschließend ein wenig die Stadt zu erkunden.
Im Verlauf des Abends kam Henry zu dem Schluss, dass Josh kein übler Kerl war. Er hielt sich zwar für cleverer, als er tatsächlich war,
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